Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Matthaei, Adelbert
Deutsche Baukunst im Mittelalter (1): Von den Anfängen bis zum Ausgang der romanischen Baukunst — Leipzig, Berlin: Verlag von B.G. Teubner, 1918

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.62986#0053
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Oie Baukunst im Zeitalter Karls des Großen u. seiner Nachfolger 43
die nun nicht mehr durch Schrankenverschiebungen in das Langhaus,
sondern vielmehr nach der entgegengesetzten Seite durch Veränderung
des Baugrundrisses selbst erreicht wird. Zwischen die Apsis nämlich
und das Ouerhaus wird ein eigener rechteckiger oder quadratischer
Raum für den Altar eingeschoben. Vas Ouerschiff stellt sich jetzt nicht
mehr wie in der antik-christlichen Basilika als ein bloßer Abschluß,
sondern vielnrehr als eine Durchdringung des Langhauses dar. Der
Grundriß des Gebäudes zeigt also jetzt nicht mehr die Horm eines A
(crux commissa), sondern vielmehr die Zorm des wirklichen Nreuzes
ch (crux capitata oder immissa). Ob die wiege dieser kreuzförmigen
Basilika, wie vehio meint, in Hessen und Rheinfranken oder, wie
andere wollen, in Westfranken zu suchen ist, mutz unentschieden blei-
ben. In Deutschland taucht sie jedenfalls zuerst in den genannten
Gegenden auf. Zu diesem Altarhaus steigt man auf mehreren Stufen
empor, weil sich unter ihm jetzt regelmäßig eine unterirdische Gruft-
kirche (Krypta) befindet. Vie alte Lonkessio (Nkärtgrergruft) hat sich bei
der unter den Germanen besonders verbreiteten Neigung zum heiligen-
unü Nkärtgrerkultus zu einer unterirdischen Andachtshalle erweitert,
die nunmehr ein regelmäßiges Glied des Nirchengebäudes wird.
In einem gewissen Zusammenhang mit dem Anwachsen des Nlerus
steht auch die dritte Neuerung, die das karolingische Nirchengebäude
aufweist: die Anlage einer zweiten Apsis, zuweilen auch eines zwei-
ten Ouerhauses im Westen der Nirche gegenüber dem Priesterhaus.
Den eigentlichen Anlaß zu dieser Änderung dürfte wohl der Umstand
gegeben haben, daß man zuweilen zwei hervorragende Tote oder zwei
heilige zu verehren hatte, wie in St. Gallen Petrus und Paulus. Doch
weist die Bestimmung vom Nloster St. Riquier, wonach jedem Offi-
zium (Dienst — Gottesdienst) einhundert Mönche zugewiesen wurden,
darauf hin, daß eine solche voppelanlage schon wegen der Vermehrung
der Geistlichkeit erwünscht war. Auch scheint es nicht ausgeschlossen,
daß die Gstapsis der sich aristokratisch abschließenden Geistlichkeit Vor-
behalten wurde, während man die andere den Laien überließ.
Sind diese Neuerungen auch zweifellos, wie oben bemerkt, auf prak-
tische Bedürfnisse zurückzuführen, so offenbart sich in ihnen doch eben-
so sicher eine Veränderung des künstlerischen Empfindens. Die ge-
nannten Dinge zeigen, daß sich eine wesentliche Wandlung der Raum-
vorstellung anbahnt, die offenbar mit dem Wesen des germanischen
Volkscharakters und der unter ihnen veränderten Religionsauffassnny
5lNuG 8: Matt ha ei, Deutsche Baukunst im Mittelalter I, 4. Kufl. 4
 
Annotationen