HONORfi DAUMIER
der zu den ganz großen Künstlern Frankreichs gekört, ward als Maler,
auf der Pariser Weltausstellung, erst um die Jahrhundertwende ent-
deckt. Vorher hatte man von seinen Bildern nicht viel gewußt. Als der
berühmteste Karikaturist seiner Zeit, als einer der berühmtesten
Schwarz-Weiß-Künstler Frankreichs, war er im Jahre 1879 ge-
storben. Daß er ein großer Mann in der Kunst war, hatten allerdings
schon früh die Zeitgenossen empfunden. Balzac, der ihn einmal m einer
Druckerei traf und seine Lithographien ansah, meinte: „In diesem
Burschen steckt etwas von Michelangelo . Und als Daubigny, der
Landschafter, in Rom in der Sixtinischen Kapelle vor Michelangelos
malerischem Spatwerk, dem .Jüngsten Gericht“, stand, rief er aus:
„Halt, Daumier!“ Aber es ist mindestens fraglich, ob diese beiden, die
hier Große fühlten, damals auch nur ein einziges Gemälde von der Hand
des großen Zeichners gesehen hatten. Daumiers Ruhm beruhte Zeit
seines Lebens und noch em Menschenalter langer auf seinen Litho-
graphien, auf seinen Karikaturen, über die man lachen und weinen
konnte. Ein Mensch, der mit Goya verwandt schien, von dem die
Klugen aber heimlich bedauern mochten, daß er sein großes Talent in
Tagesarbeit und Zeitschnften-Illustration verzettelte. Daßdiese „Kari-
katur gleichsam nur die Maske vorstellte, hinter der sich so Chaos
wie Kosmos einer neuen künstlerischen Anschauung verbarg, übersah
man. Man mußte es übersehen, weil der reinen Erkenntnis und dem
interesselosen Genuß an dieser Kunst em ebenfalls neues Element hin-
dernd im Wege stand: die Aktualität des Gegenständlichen, die Aktua-
lität des Stoffes, die Tendenz, wenn man das Wort einmal gelten
lassen will.
Honore Daumier ist Südfranzose. Geboren am 27. Februar des
Jahres 1808 in Marseille als Sohn eines Handwerkers, kam er als acht-
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der zu den ganz großen Künstlern Frankreichs gekört, ward als Maler,
auf der Pariser Weltausstellung, erst um die Jahrhundertwende ent-
deckt. Vorher hatte man von seinen Bildern nicht viel gewußt. Als der
berühmteste Karikaturist seiner Zeit, als einer der berühmtesten
Schwarz-Weiß-Künstler Frankreichs, war er im Jahre 1879 ge-
storben. Daß er ein großer Mann in der Kunst war, hatten allerdings
schon früh die Zeitgenossen empfunden. Balzac, der ihn einmal m einer
Druckerei traf und seine Lithographien ansah, meinte: „In diesem
Burschen steckt etwas von Michelangelo . Und als Daubigny, der
Landschafter, in Rom in der Sixtinischen Kapelle vor Michelangelos
malerischem Spatwerk, dem .Jüngsten Gericht“, stand, rief er aus:
„Halt, Daumier!“ Aber es ist mindestens fraglich, ob diese beiden, die
hier Große fühlten, damals auch nur ein einziges Gemälde von der Hand
des großen Zeichners gesehen hatten. Daumiers Ruhm beruhte Zeit
seines Lebens und noch em Menschenalter langer auf seinen Litho-
graphien, auf seinen Karikaturen, über die man lachen und weinen
konnte. Ein Mensch, der mit Goya verwandt schien, von dem die
Klugen aber heimlich bedauern mochten, daß er sein großes Talent in
Tagesarbeit und Zeitschnften-Illustration verzettelte. Daßdiese „Kari-
katur gleichsam nur die Maske vorstellte, hinter der sich so Chaos
wie Kosmos einer neuen künstlerischen Anschauung verbarg, übersah
man. Man mußte es übersehen, weil der reinen Erkenntnis und dem
interesselosen Genuß an dieser Kunst em ebenfalls neues Element hin-
dernd im Wege stand: die Aktualität des Gegenständlichen, die Aktua-
lität des Stoffes, die Tendenz, wenn man das Wort einmal gelten
lassen will.
Honore Daumier ist Südfranzose. Geboren am 27. Februar des
Jahres 1808 in Marseille als Sohn eines Handwerkers, kam er als acht-
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