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Galerie Matthiesen; Manet, Edouard [Ill.]
Ausstellung Edouard Manet 1832-1883: Gemälde, Pastelle, Aquarelle, Zeichnungen : 6. Februar bis 18. März 1928 — Berlin: Galerie Matthiesen, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.70109#0014
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lerische Kälte. Manet nahm sich mit unvergleichlich feiner Empfindsamkeit aus der
Landschaft mehr als das Motiv, er nahm sich das Leuchten und die Farbe aus ihr
und baute sich damit eigene leuchtende bunte Räume. Soviel von dem unendlichen
Zauber der Nacht, wie Manet in den „Hafen von Boulogne“ hineingeheimniste,
hatte auch Daubigny mit seinen lyrischen Bildern nicht gegeben. Man fühlte die
endlose Weite der schwellenden Nacht und die Kälte der Sterne, und die Dinge der
Erde erschienen schwarz und fremd.
Mit der Zeit wird Manets Palette heller, die Schatten, wenigstens als Kontraste,
verschwinden und werden farbig, blau und violett. Um das Jahr 1870 hatte er sich
immer leidenschaftlicher auf das Studium der Atmosphäre eingelassen, mit ihrem
„verführerischen Glanze“. Aber er verfiel dabei nicht in System und Theorie, sondern
blieb der sensible, geistig helle Anschauungsmensch. Nahm er die Gewichte bisher
energisch durch die starke Sprache von Licht und Schatten, so nimmt er sie jetzt,
ebenso energisch, durch das Wechselspiel von Licht und Farbe und opfert nicht das
Geringste von seiner geschmeidigen Struktur. Er ließ sich auch von der schönsten
Wirklichkeit im Grünen nicht verführen, er wahrte immer die Distanz. Auch vor
dem überraschendsten flüchtigsten Zauber der Erscheinung hielt er stand. Als er
aus dem Fenster blickte und in golden funkelndem Sonnenlicht die Straße sah,
alles Schattenhafte in durchsichtigstem Blau, mit hellbronzegrünen und orangeroten
Lichtern auf den tiefsten Stellen, selbst da verlor er sich nicht, sondern hielt alles
in den ausgewogensten Gewichten. Es bleibt in seiner Farbenskala, die heller ist
als die Natur; kein noch so schönes Karminrot in einer Fahne stößt ein Loch in
die nebelhaft dünne Atmosphäre, kein noch so aufregendes Aquariumblau neigt
nach Saphirblau hinüber. Er malt nicht immer alle Schatten hell, um hell zu malen.
In den Landschaften aus seiner allerletzten Zeit nimmt er die Spannungen weiter.
Mit tiefen farbigen Punkten komponiert Manet das farbige Gerüst der Bilder,
instinktiv, aus innerem Gleichgewichtsgefühl. Was als Anschauungserlebnis eine
Sekunde war, ganz leicht, ganz schwebend, ist aus dauerhaftesten Elementen auf-
gebaut. Er muß, als er im Vollbesitz seines Metiers war, mit einer geradezu schlaf-
wandelnden Sicherheit gearbeitet haben. Sein Freund, der irische Schriftsteller
George Moore, der ursprünglich einmal Maler war, hat uns erzählt, wie das vor
sich ging.
Manet wollte George Moore porträtieren. George Moore hatte Haare von einer
Farbe wie ausgelaufenes Eigelb. „Das Bild gedieh nicht recht und wurde zuletzt
auch vernichtet; aber es gab mir die Gelegenheit, Manets Methode zu studieren.
Genau genommen hatte er gar keine Methode beim Malen, das Malen war bei ihm
angeborener Instinkt. Es wunderte mich sehr, als Manet nach ein paar Tagen das

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