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Deutscher Altphilologenverband [Editor]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 34.1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.35875#0064
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Vergi! auf den Leim gegangen?

Der folgende offene Brief von Herrn Dr. Heinz Munding bezieht sich auf den (in der Zeitschrif-
tenschau 1/91, S. 14f. erwähnten) Aufsatz von Prof. Dr. Hermann Funke in der Zeitschrift,,Der
Altsprachliche Unterricht" 6/1990, besonders auf dessen redaktionellen Vorspann.

Sehr geehrter Herr Professor Funke,

Schwegenheim, 9.12.1990

vielleicht haben Sie meinen Beitrag ,,Technische Macht und römische Herrschaft" in MDAV
3/90 gelesen, der ja zu Ihrem o.g. Aufsatz in diametralem Gegensatz steht. Recht verstanden
kann er nur werden im Kontext der ganzen Broschüre, der er entnommen ist (,,Antike als Gegen-
bild", Speyer 1990), und die ich Ihnen hiermit zu Ihrer Information übersende.
Ich verhehle nicht, daß mich Ihr Ansatz ärgert und auch deprimiert. Was ist denn das für ein
oberstes Interpretationsziel: Schülern ,,zu einer kritischen Position gegenüber dem römischen
Nationalepos zu verhelfen"? (Vgl. den Vorspann sowie das daran anschließende Ransmayr-Zitat
mit seinen krampfhaften Aktualisierungen, die doch eher in die Welt von Orwells ,,1984" passen
als auf das augusteische Rom.) Was Sie (später dann im Aufsatz selber) an Einzelheiten über die
rauhe Wirklichkeit der römischen Machtpolitik anführen und über Vergils (vielleicht vertane)
Chance, dieser ein überzeugendes Ideal entgegenzustellen, mag ja alles zutreffen. Aber wenn
man den Schülern einredet, alle bisherigen Interpreten von Aen. VI 847 - 853 seien Vergil auf den
Leim gegangen und erst sre, also 17- bis 19-Jährige, seien nun die kompetenten Richter überdas
imperium Romanum, so erzeugt man doch in den jungen Leuten eine völlig unangebrachte Arro-
ganz. Diese jungen Leute wachsen doch ihrerseits in unsere moderne /ndustn'eku/tur hinein und
partizipieren damit an einem menschlichen Machtstreben, das dem der alten Römer wahrlich in
nichts nachsteht. Viele werden ja später einmal naturwissenschaftliche oder technische Berufe
ergreifen und sich damit nolentes volentes an der größten Vergewaltigung von irdischem Leben
beteiligen, die sich der homo sapiens bisher auf dieser Erde geleistet hat. Zwar kann man diese
Perspektive im Lateinunterricht ausklammern und sich damit eine Art von Spielwiese schaffen,
auf der man dann bequem sein Urteil über die ,,Brutalität" der Römer fällen kann. Doch für sehr
pädagogisch kann ich das nicht halten.
Ich nehme an, daß Sie diese Meinungsäußerung eines ehemaligen Gymnasiallehrers verkraften
werden.

Mit freundlichen Grüßen
gez.DR. HEINZ MuNDiNG, Schwegenheim

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