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Meder, Joseph
Die Handzeichnung: ihre Technik und Entwicklung — Wien, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.9755#0725
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Verluste und Schädigungen.

Der immense Verlust an guten, alten Handzeichnungen, der uns heute Verluste,
angesichts der hohen historischen Wertschätzung besonders fühlbar erscheint
und dem Spezialforscher bei jeder Einzeluntersuchung immer aufs neue zur
trostlosen Tatsache werden kann, hatte seine vielen und traurigen Ursachen.
Zunächst in den Werkstätten selbst. Vollzieht sich doch der unerfreuliche Vor*
gang der Schädigung und Vernichtung auch in modernen Ateliers vor unsern
Augen. Welche Schicksale Studien und Entwürfe durch die Sorglosigkeit ihrer
Schöpfer erfuhren, wie sie unsigniert auf Tisch und Kasten, an der Wand und
auf der Diele, zerrissen und zernagelt, verstaubt, verwischt und verschmiert Mißachtung,
wurden, berichten uns schon die Alten. Malvasia erzählt, daß die Carracci
ihre Zeichnungen sehr gering achteten. Unvollendet lagen ganze Stöße in der
Werkstatt, Agostino reinigte damit Kupferplatten und Pfannen, um sie schließ*
lieh in den Ofen zu werfen1. Bartolommeo und Lorenzo di Credi überlieferten
über Savonarolas Geheiß ihre Nacktstudien jenem berüchtigten Scheiterhaufen
auf dem Florentiner Marktplatze. Und als nach des ersteren Tode sein zeich*
nerischer Nachlaß in die Hände der Klosterschwester Plautilla Nelli fiel und
nach deren Ableben noch weiter im Katharinakloster in Florenz (heute Acca*
demia) verblieb, benützten die Nonnen die Zeichnungen zum Feuermachen,
bis ihnen ein Sachverständiger das Handwerk legte2. Nur seinem immensen
Fleiße und seiner Fruchtbarkeit verdanken wir die noch immer stattliche Anzahl
erhaltener Blätter. Pietro Testa verbrannte seine Studien freiwillig vor seinem
Tode3, wie J. B. Santerre (f 1717) eine große Anzahl seiner Mädchenakte
(recueil de desseins de femmes nues de la devniere beaute)i.

Wie viele große und allerorts tätige Meister haben wir kaum durch e i n
gesichertes Blatt vertreten! Was haben wir von Giotto und seiner Schule, von
Fra Angelico, von Benozzo Gozzoli, von Melozzo da Forli, von Mantegna
überkommen5? Wo sind jene Uccellos, die er nach Vasari kofferweise hinter*
lassen haben soll? Hatte die Zeichnung ihrem Zwecke gedient, scheint sie

1 Malvasia I, 467.

2Vas. Mil. IV, 195, Note 2. - The Lawrence Gallery, 7. Exhibition, p. 12.
3 Passeri, Leben der Maler, S. 217.

4Fiorillo, Gesch. d. z. Künste III, 273. - D'Argenville, Abrege, IV, p. 261.

5 «Wenn man bedenkt, welche Massen von Zeichnungen Mantegna für die Vorbereitung
seiner großen Freskenzyklen, für den Triumph und die Tafelbilder, für die Arbeiten so
vieler anderer von den Gonzaga beschäftigten Künstler angefertigt haben muß, so wird
man sich doch wundern, daß so wenige von seiner Hand auf uns gekommen sind.»
Kristcller, Mantegna, S. 426.
 
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