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170 Meggendorfer-Blätter, München

Wut — „Leut ist die Amnestie herausgekommen, und grad

vorgestern erst hab' ich die dreißig Mark gezahlt für die
Watschen, die ich dem Forsteleven gegeben hab'. Wenn
ich den Kerl sehe, da hau' ich ihm aber eine herunter."

Labuhns Leibibliothek

So im April 1870 mochte es gewesen sein, da hatte
Meister Labuhn von Lerrn Direktor Caspary desten Ge-
samtausgabe der Werke Klopstocks neu zu binden be-
kommen. Einen Klopstock hatte er vorher noch niemals
gebunden; also kannte er ihn noch nicht, und deshalb mußte
er ihn jetzt lesen. Das tat er gewistenhaft, wenn es auch
eine gewaltige Arbeit war. Den „Messias" konnte er nur
mit unendlicher Mühe und Ausdauer bewältigen, aber da-
für hatte er dann auch jeden einzelnen Vers gelesen, und
es gibt nur sehr wenige Leute, die das von sich sagen können.
Zu verstehen ist, daß der Klopstock sehr lange bei Labuhn
liegen blieb. Äerr Direktor Caspary vergaß schließlich,
daß er ihn zu dem Buchbindermeister geschickt hatte, — er
brauchte ihn wohl nicht sehr oft. Erst am 15. Iuli fiel es
ihm wieder ein. Als die Nachricht von der französischen

Kriegserklärung kam, gab sie aus einem
Grunde ganz persönlichen Empfindens
dem Äerrn Direktor einen schmerzlichen
Stich, — sie fiel nicht in die rechte Zeit,
es waren ja gerade die Sommerferien,
und Äerr Direktor Caspary konnte keine
begeisternde Ansprache in der Aula vor
versammeltem Lehrer- und Schülervolk
loslassen. Wenn er aber schon keine
Rede halten konnte, dann mußte er
wenigstens einen vaterländischen Auf-
satz schreiben, dem die Spalten der Orts-
zeitung selbstverständlich offen standen.
Er schrieb ihn, spät abends, — mit Tinte
und Feuer. Als er aber an den Schluß
kam, brauchte er den Klopstock, denn er
wollte mit der augenblicklich ungemein
passenden Versicherung dieses Dichters
schließen, daß „unsere Fürsten Lermanne
und unsere Leere kalte und kühne Cherus-
ker" wären. Der genaue Wortlaut war
ihm entfallen. Wenn aber nicht einmal
Äerr Gymnasialdirektor Caspary genau
zitiert hätte, — ja, von wem hätte man
es dann verlangen sollen! Also mußten
Klopstocks Oden aufgeschlagen werden.
Aber nicht nur die Oden, nein, über-
haupt der ganze Klopstock war nicht da.
Richtig, — der verdammte langweilige
Kerl hatte ihn noch, der Buchbinder.
Es war schon zehn Llhr abends, aber
Direktor Caspary schickte dennoch das
Dienstmädchen zu Labuhn. Leider war
derMeister nicht zuLause; er warirgend-
wo in der auf Gassen und in Lokalen
aufgeregt herumwimmelnden Menschheit
untergetaucht. Der Lerr Direktor mußte
seine Arbeit ohne das schöne Klopstock-
zitat in den Briefkasten tun, und das
ärgerte ihn furchtbar. Am nächsten
Morgen ließ er, unter ausdrücklichem, mit
heftigem Tadel unterstrichenem Verzicht
auf Meister Labuhns fernere Dienste den
Klopstock abholen, — ganz egal, ob er
schon neu gebunden ist oder nicht!

Mit Bedauern gab Reinhold Labuhn
den Klopstock her, — er hatte noch die
„Gelehrtenrepublik" und die „Grammati-
schen Gespräche" zu lesen gehabt. Sollte
er sich die entgehen laffen? O nein, der schwere Klopstock hatte
ihn hartnäckig gemacht. Er ging zu einem in einem andern
Stadtteil wohnenden jüngeren Berufsgenoffen, der neben
seiner Buchbinderei eine LeihbibÜothek betrieb, was zweifel-
los auch gut zusammenpaßte. Ia, der hatte einen Klopstock,
— sogar kein einziges Mal war er bisher ausgeliehen
worden. Meister Labuhn wollte sich die „Gelehrtenrepublik"
und die „Grammatischen Gespräche" heraussuchen, aber da
machte sein Kollege ihm ein Angebot. Er mußte jetzt fort,
als Landwehrmann; Frau und Kind hatte er nicht, die
Bibliothek mußte sowieso zugesperrt werden, und ob er sie
jemals wieder aufmachen würde, konnte er jetzt nicht wiffen,
wohl aber, daß ihm etwas Geld auf die Land sehr angenehm
sein würde, — kurz und gut: Kollege Labuhn könnte doch
einfach gleich die ganze Bibliothek an sich bringen. Fort
mit Schaden, für 250 Taler war sie zu haben!
 
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