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Meggendorfer-Blätter — 52.1903 (Nr. 627-640)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16702#0037
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Zeitschrift für Lfumor und Auuft

33


rief der Assessor ganz bestürzt. „Ich dachte, es wäre
schon eine sehr aite Damel" Daraufhin wurde er immer
^achdenklicher und einsilbiger, empfahl sich schließlich ziemlich
uhl nnd — am nächsten Morgen kam von ihm ein in die
ürrsten tföflichkeitsxhrasen gekleideter Absagebrief.

chast zu gleicher Zeit traf auch ein nun wie lfohn klingen-
rs Lelegramm der Tante ein:

„Eratuliere herzlichst zur Verlobung. Fahre heute noch
Zu euch."

Nun herrschte riesige Aufregung bei Schinderls. „Tantchen
onunt, um Verlobnng zu feiern, und jetzt ist gar kein Brautigam
2), sie wird schrecklich böse werdenl" rief cin übers
andere Aial die entgleiste Schwiegermutter eines Assessors,
wdes das Töchterchen in einem Winkel saß und heulte.
„Nannl Vaterl Weißt Du denn keinen Rat?" wandte
sich dann zu ihrem verdüstert dreinschauenden Gatten.
„Jch?" fuhr dieser empor. „Ich weiß euch nicht zu
raten; es sei denn," setzte er in einem Anfall von Galgen-
huinor hinzu, „ihr entlehnt euch für die paar Tage, die Tante
-üina kommt, einen Bräutigaml"

„Tinen — Bräutigam — entlehnen?! . . ."

Ntama Schinderl starrte ihren Mann wie geistesabwesend
„Ia, ift das Dein Lrnst, Alfred?" — „Na, jal" lachte
^rselbe trocken. „Ich wüßte sonst keinen Ausweg aus dem
Dileuuna I"

„Ia, aber — hu — hul" heulte Dtizzi voll Naivität
uus dein Winkel her. „Wo kriegt man denn so einen — so
bnien nichtswürdigen Akenschen zu leihen?"

"Ach was, xapperlapapp!" belferte Papa Schinderl,
„ räutigam entlehnen — Unsinn — meinte das doch bloß
lui Scherz!"

„Na, ich weiß nichtl" sagte Frau Schinderl nachdenklich;
„llfn entlehnter Bräutigam ist immer noch besser als gar
liier. Lante Ntina wäre wütend, wenn sie jetzt mitten
l>u lvinter die weite Reise hieher nmsonst gemacht hätte und
' lin stande, unsere Marie zu enterben; Du kennst sie ja,
lUle unberechenbar sie ist!"

^ Als Papa Schinderl vom Enterben hörte, trat auch er
^ 2ache näher; man sing an, zu beraten und das Facit der
"chichte war, daß, noch ehe die Tante eintraf, ein im
l en thause gleich unterm Dache wohnender, ewig hungriger
^ lrnist inZ Vertrauen gezogen und durch die verlockende
^stcht auf ein paar ausgiebige Ukittag- und Abendmahl-
Zeiten bewogen wurde, in diskreter Weise den Bräutigam zu
^ bn. Später, wenn einmal die Tante wieder abgereist
lvürde man schon auf brieflichem Mege die Verlobung
soll Zurückgegangen melden; nur jetzt, momentan,

^ bie Tante angenehm darüber hinweggetäuscht werden.
Gegen Abend traf denn auch die Erwartete ein. Atizzi,
l"^-^ ^o'll Nahnhofe abholte, spielte mit viel Geschick die
3 u lichx Braut, und als dann der Pseudo-Bräutigam in Papa
lsinderls neuestem Anzug erschien, strahlten auch ihm — an-
^l'Ncht^ der reichbesetzten Tafel — die Augen vor Glück. Der ihm
gestellten Lrbtante machte er eine Riesenverbeugung, küßte
, 2^lit die ksand und machte fich — er war ein ganz netter,
I ?er kNensch — überhaupt so angenehm wie möglich.

Im Laufe des Abends gewann er sich denn auch durch
sein artiges, zuvorkommendes Wesen das kserz der ältlichen
Tante, und diese flüsterte ihrer Nichte heimlich zu: „Ein lieber
Alensch; so hab'ich inir imnier Deinen Iukünftigen vorgestelltl"

„2lch ja, Tantchen," lächelte das Pseudo-Bräutchen, „ich
hab' ihn auch riesig gernel"

„Na, dann geniert euch nicht vor euerer alten Tante —
ihr tut ja kühl — gleich geht cuch ein paar herzhafte Uüsse!"

Mzzi erbleichte; aber Mama Schindler winkte ihr zu,
der Tante zu gehorchen, und um nicht aus der Rolle zu fallen,
niußten sich die beiden jungen Leute immer und immer wieder
abbusseln . . .

Trockenes Stroh fängt leicht Feuer. Beim dritten Auß
fand Mizzi, daß sie eigentlich dem armen Teufel von Diurnisten
ganz gut sein könnte, und er — er dachte sich schon beim ersten
Auß, daß das ein ganz liebes Ding von einem Mädchen seil

„So, ineine Lieben!" sagte endlich die Tante. „Nun ist's
genug, und jetzt, meiii lieber Neffe in sps, geben Sie auch
ihrer alten Tante einen Anßl" und verlangend sxitzte sie die
dürren Lipxen. Das Schreiberlein kniff die Augen zu, dachte
an den Lederfleck, in den er immer seine Feder auswischte
nnd — gehorchte.

„Lharmant!" rief die Tante ganz entzückt. „Sie sind
ein xrächtiger Mensch; wie ist doch gleich Ihr Name?"

„Friedrich Gottlieb jdurzell"

„Friedrich Gottlieb jdurzel," wiederholte die Tante und
trug den Namen in ein kleines Notizbüchelchen ein. „Wissen
Sie, ich bin so vergeßlich. Und was sind Sie eigentlich?"

„Ich — ich bin Mundant beim königlichen Gberaints-
gericht!" erwiderte purzel mit Aplomb.

„So, so> Mun — Mundant beim königlichen Bberamts-
gericht?!" rief die Tante mit resxektvoll emporgezogenen
Augenbrauen, denn sie kannte diesen hochtrabend klingenden
Titel für Schreiber nicht.

Nachdem Sie ihre Lintragungen vollendet, erhob sie ihr
Glas und rief: „Na also, Ainder, seid glücklich miteinander,
behaltet auch euere alte Tante ein wenig lieb, und ich werde
schon euch nicht vergessen. Das Brautxaar, es lebe hoch
und abermals hochl"

Man stieß scheinbar begeistert mit den Gläsern an, und
der Pseudo-Bräutigam emxfahl sich hierauf resxektvollst und
spielte auch an den folgenden Tagen, so lange eben die Tante
blieb, mit großem Geschick seine Rolle.

Als aber der Besuch abgereist war, sank der arine Diurnist
wieder in sein Nichts zurück, und seine ärmlich möblierte
Dachkammer kam ihm doppelt elend vor.

Der einzige Lichtstrahl in seinem Dasein war die tägliche
Begegnung mit seinem Pseudo-Bräutchen, das er so warin
halten und so heiß küssen durfte. Sie lächelte stets ganz
verwirrt und verschämt und da gefiel sie ihm immer wieder
noch besser, so daß er sie eines schönen Tages ansprach und
sie fragte: „Gestatten FrLulein, daß ich niich um das Befinden
von Fräulein Tanto erkundige?" — „V, kserr Purzel, ich
danke der Nachfrage, „aber sie schrieb uns gestern, daß sie
nicht recht wohl seil" ermiderte Mizzi und machte ein recht
bekümmertes Gesicht. — Der Diurnist begleitete sie hierauf noch
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