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Meggendorfer-Blätter — 52.1903 (Nr. 627-640)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16702#0145
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Zeitschrift für Lfumor uud Auuft


Gifk.

„Sihdi," antwortete der Gefragte und beugte seine 5tirne
bis tief zur Lrde, „ich bin einem Geheimnisse auf die 5xur
gekommen, das ich nur Dir allein mitteilen kann. Du hast den
weisen Befehl erlassen, daß niemand in Deinem Machtbereiche
Gift besitzen dürfe. Nun höre, Sihdi, die Alage, welche ich
gegen Ibn Davud, meinen Lferrn, vorbringe. Allah, sei mein
Zeuge, daß ich die Wahrheit redel" —

„Ibn Davud besitzt einen Brunnen, in welchem das Wasser
stets kühl bleibt, und aus diesem Brunnen läßt auch Du Dir das
Wasser bringen. Aber dort, klug verborgen, hat Ibn Davud
viele Giftslaschen, und wenn ihm der Scheitan den Gedanken
eingibt, braucht er nur eine solche Flasche zu öffnen und in den
Brunnen zu gießen, so kann er Dich und das ganze Dorf ver-
nichten. — Ich rufe Allah nochmals zum Ieugen an, daß ich die
Wahrheit gesprochen habe." Selim hob beteuernd seine lsand.

Der Aadi schwieg lange, dann fuhr er nachdenklich mit
der lsand über seinen langen Bart und
fragte: „Wie bist Du diesem schrecklichen Ge-
heimnisse auf die Sxur gekommen?"

„Sihdi," entgegnete Selim, „ich war
eines Abends mit Dschumeilah, dem Mäd-
chen, das meine Seele liebt, in der Nähe des
Brunnens. Da kam xlötzlich Ibn Davud
daher, ging in den Brunnen, wir hörten
eine Türe fallen und nach langer Zeit kam
er wieder heraus und schritt eilig seinem
kfause zu.

Ich war neugierig geworden und ging
mit Dschumeilah zum Brunnen. Diese fand
bald eine hohle Stelle und nach einigem
2uchen entdeckten wir eine schlau verborgene
U-üre. ^ch öffnete dieselbe und wie staunte
ich, als ich eine tiefe Deffnung erblickte.

Dch ging hinein, und o Allah, was sah
ich da! viele, viele Flaschen waren dort,
gerade solche, wie diejenigen, in denen Du,
o Sihdi, das Gift aufbewahren läßt. Des-
halb bin ich sogleich gekommen, Dir dieses zu
melden."

Abermals schwieg der Radi lange, dann
glitt ein leises Schmunzeln über seine ernsten
-Düge und er sxrach zu Selim:

„Ibn Davud war stets ein treuer Diener
des Propheten, und sollte es sich heraus-
stellen, daß Du ihn verleumdet hast, so sei
Dir Allah gnädigl"

Tine gnädige kfandbewegung des Aadi, eine ticfe Oer-
beugung Selims und die Audienz war beendet.

Als Ibn Davud am nächsten Morgen erwachte, meldete
ihm Selim unter heuchlerischem Staunen, im bsofe sei der Nadi
mit mehreren bewaffneten Männern und wünsche mit dem
bfausherrn zu sxrechen. Ibn Davud kleidete sich schnell an und
^ilte in den bfof.

„Was ist Dein Begehr, Lferr?" erkundigte er sich unter
einer Oerbeugung.

„Jbn Davud," entgegnete der Aadi, „ich stehe vor Dir
>m Namen des jdadischah, dem Allah tausend Iahre schenken
möge, und verkünde Dir, daß schwere Alage gegen Dich er-
hoben wurde; diese Alage lautet, Du habest viele Flaschen Gift
verborgen, um damit den Brunnen, das Dorf und auch mich
zu vergiften."

„kserr," rief Ibn Davud entrüstet aus, „wer konnte es
wagen, einen so schmählichen verdacht auf mich zu lenken?"

„Allah ist allwissend," erwiderte der Aadi, „und wenn er

will, teilt er seine Ivissenschaft auch den Menschen mit. Aomm
zum Brunnenl"

Ibn Davud erblaßte, ging aber ohne Zögern mit. Die
Soldaten untersuchten den Brunnen, fanden bald die Türe und
die Meffnung und siehe dal wohl über hundert Flaschen mit
silbernen Köpfen und weißen Ltiketten lagen am Boden.

Abermals glitt ein leises Schmunzeln über das Antlitz des
'Aadi, und er ließ sich eine Flasche heraufreichen.

„kserr," ließ sich da Ibn Davud vernehmen, „es ist kein
Gift!"

Lrnst blickte der Kadi den „Schuldigen" an und sagte:
„Ibn Davud, dieses Gift kenne ich. Ich habe in/Stambul
Leute gesehen, welche dieses Gift trinken mußten und schrecklich
waren die Folgen. Die Zunge wurde gelähmt, die Füße ver-
sagten den Dienst und endlich verloren diese Leute ganz das
Bewußtsein — oder kennt jemand von euch," so wendete er

sich an seine Leute und zeigte ihnen die Buchstaben auf
der Ltikette, „kennt jemand diese Zeichen des Scheitan, die
auf der Flasche geschrieben stehen? Gewiß nichtl Aber ich
werde euch noch deutlicher zeigen, daß der Teufel in dieser
Flasche sitzt."

Lr löste den Draht, und als der jdfropfen mit lautem
Analle in dic Luft flog und der weiße Gischt aus der Flasche
hervorspritzte, prallten die Soldaten entsetzt zurück und brüllten:
„Allah bewahre uns vor dem neunmal geschwänzten Teufell"

Sie waren der festen Ueberzeugung, daß die Flaschen ein
furchtbares Gift enthalten müssen.

Dann sagte der Kadi: „Ich werde die Flaschen zu mir
nehmen und den Scheitan selbst beschwören, damit er der Vrt-
schaft nicht schaden könne."

Lrst die wiederholte Oersicherung des Vrtsrichters, daß
der böse Geist in der Llasche ganz fest versperrt sei, konnte die
Soldaten dazu bringen, die unheimlichen „Giftgefäße" zu ent-
fernen und zum Aadi zu tragen.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
Gift
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Meggendorfer-Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
B 2529-158-1 Folio

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Kleinhempel, Fritz
Entstehungsdatum
um 1903
Entstehungsdatum (normiert)
1898 - 1908
Entstehungsort (GND)
Esslingen am Neckar

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift
Höhle
Kadi
Bach
Korken
Champagnerflasche
Flasche
Schaumwein
Angst
Mann
Muslim
Orient
Osmanisches Reich

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Zeitpunkt Aufnahme (normiert)
2013-10-16 - 2013-10-16
Aufbewahrungsort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Meggendorfer-Blätter, 52.1903, Nr. 638, S. 141
 
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