Meggendorfer-Blätter, München
Äs gibt ein Lied,
s gibt ein Lied, das ich noch nie gehört
Und das mir doch im Mhre liegt . . .
Das hat mich oft schon in den Schlaf gewiegt —
Und oft betört.
Aus meiner tiefsten, stillsten Einsamkeit
Wächst weich und silberweiß sein Klang.
Und alle Sehnsucht ruht in dem Gesang
Und alles Leid.
Du junges Kind! Auch Deine Sehnsucht zieht
Hinaus, wo fern im Morgenhauch
Lin Eiland träumt . . . hörst Du es auch,
Das weiche Lied? Frz. Kappus.
AI
Lächeln, das leider von Mali als
Der große Schweiger.
Humoreske von Charlotte Francke-Roesing.
ali Huber, die hübsche Tochter des Rechnungsrats
Huber und seiner Frau Leonore geb. Stiel trug in
ihrer achtzehnjährigen Seele das Ideal eines ernsten,
schweigsamen, überlegenen Mannes, dessen Urbild ihr bis dato
noch nicht begegnet war.
Auf einem Balle im landwirtschaftlichen Verein sollte das
Verhängnis sie endlich erreichen.
Sie tanzte eben einen Walzer mit dem kleinen, witzigen
Müller, als er eintrat.
Er war sechs Fuß groß, hatte einen wundervollen, blon-
den Schnurrbart und unergründliche, blaue Augen von selt-
samem Glanz.
„Wer ist der Herr?" fragte Mali errötend.
„Wir nennen ihn den großen Schweiger," erwiderte Müller
mit einem sarkastischen
Zeichen eifersüchtiger Liebe gedeutet wurde, „ich werde ihn zu
Ihnen schicken."
Den nächsten Tanz — es'war glücklicherweise der Kotillon —
trat Mali denn auch mit dem großen Schweiger an. LKtanzte
himmlisch I Und dann — dieses geheimnisvolle, eigenartige
Leuchten seiner Augen, wenn er sie ansah I welche Tiefen der Seele
und des Wissens mochte dieses schimmernde Blau verschleiern!
Mali fühlte sich gedrungen, zu zeigen, daß auch sie Seele
und Tiefe besaß, und ließ die Schätze ihres Herzens und ihrer
Pensionsbildung vor den wunderbaren, blauen Augen funkeln.
Sie plauderte über moderne Kunst, Theater und'Musik,
flocht geschickt hier einens englischen, dort einen französischen
Satz ein, berührte diskret ihre Mal- und Gesangstunden und
verschwieg weder ihre Mitgliedschaft im Samariterverein, noch
die im Verein zur Rettung armer Heidenkinder. So ließ sie
vor dem großen Schweiger, der sich natürlich an der Unterhaltung
nur durch Juhören und mit einem wohlwollenden Lächeln
beteiligte, alle ihre verlockenden Eigenschaften schillern, wie
weiland die Schlange im Paradiese den verführerischen Apfel.
Und der junge Adam, der sogar die naheliegende Bemerkung,
daß es heute sehr heiß im Saale sei, ohne Anstrengung unter-
drückt hatte, zeigte sich geneigt in das rosige Aexfelchen zu
beißen, das Eva-Mali ihm darbot.
Er holte sie wieder und wieder zum Tanz, und das Resultat
des Balles war eine liebenswürdige Einladung zum Tee an
einem der nächsten Abende, seitens der Frau Rechnungsrat.
Herr Huber, als vorsichtiger Vater, zog bei dem kleinen
Müller vertrauliche Auskunft über den Fremden ein. Müller
zuckte die Achseln. Er wußte nur, daß der junge Mann
Vekonom sei und vor kurzem einen ziemlich erheblichen Anteil
am großen Lose der Preußischen gewonnen habe.
.Vekonomh das imponierte Mali, sie schwärmte für Natur;
der Anteil am großen Lose dagegen wirkte wiederum sehr
erhebend auf die ältere Generation.
In tadelloser Eleganz trat der große Schweiger am be-
stimmten Abend an. Er begnügte sich bei der Begrüßung mit
einer Verbeugung und stummem, vielsagendem Händedruck.
Herr und Frau Huber waren bald ebenso bezaubert von
seiner Persönlichkeit, als das reizende Töchterlein; denn er
verstand die seltene Kunst des Zuhörens in so hohem Grade,
daß er wahre Redeströme aus den andern hervorlockte.
Und das alles erreichte er durch ein gelegentliches Kopf-
nicken oder ein flüchtig hingeworfenes ,Ia° oder ,Nein°.
Als man sich, d. h. Familie Huber, gründlich ausgesprochen
— man hatte alle Gebiete von der hohen Politik bis zur
Notwendigkeit einer gründlichen Erziehung der Mädchen fürs
Haus gestreift — forderte die Frau Rechnungsrat ihre Mali
auf, ein schlichtes Volkslied zu singen, „denn das geht doch
immer am kneiften zu Herzen".
Der große Schweiger blickte Fräulein Mali mit seinen
unergründlichen Augen bittend an — Mali glühte.
Ghne Prüderie, wie sie es gelernt hatte, setzte sie sich
ans Piano und sang mit ihrer frischen, runden Stimme das
Heideröslein.
„Röslein, Röslein, Röslein rot, Röslein auf der Heiden . . ."
Es klang wirklich sehr gut.
Nach dem Vortrag erwartungsvolle Pause. Mali sah
verschämt vor sich nieder. Das Elternpaar blickte gespannt auf
den Gast, dessen blaue Augen rätselvoller glänzten als je und
der vor Rührung keine Worte zu finden schien.
Herr Huber sagte ermunternd: „So 'n einfaches Liedchen
und von Goethe!"
Auch seine Gattin nickte dem jungen Manne liebreich zu:
„Ia, der alte Goethe, der kann's!"
Da dehnte sich die männliche Brust des großen Schweigers
in befreiendem Atemzuge und er sprach in dem Tone, den nur
die tiefste Ueberzeugung verleiht — es klang fast unheimlich
laut durch die erwartungsvolle Stille —: „Ia, der alte Ioethe
Äs gibt ein Lied,
s gibt ein Lied, das ich noch nie gehört
Und das mir doch im Mhre liegt . . .
Das hat mich oft schon in den Schlaf gewiegt —
Und oft betört.
Aus meiner tiefsten, stillsten Einsamkeit
Wächst weich und silberweiß sein Klang.
Und alle Sehnsucht ruht in dem Gesang
Und alles Leid.
Du junges Kind! Auch Deine Sehnsucht zieht
Hinaus, wo fern im Morgenhauch
Lin Eiland träumt . . . hörst Du es auch,
Das weiche Lied? Frz. Kappus.
AI
Lächeln, das leider von Mali als
Der große Schweiger.
Humoreske von Charlotte Francke-Roesing.
ali Huber, die hübsche Tochter des Rechnungsrats
Huber und seiner Frau Leonore geb. Stiel trug in
ihrer achtzehnjährigen Seele das Ideal eines ernsten,
schweigsamen, überlegenen Mannes, dessen Urbild ihr bis dato
noch nicht begegnet war.
Auf einem Balle im landwirtschaftlichen Verein sollte das
Verhängnis sie endlich erreichen.
Sie tanzte eben einen Walzer mit dem kleinen, witzigen
Müller, als er eintrat.
Er war sechs Fuß groß, hatte einen wundervollen, blon-
den Schnurrbart und unergründliche, blaue Augen von selt-
samem Glanz.
„Wer ist der Herr?" fragte Mali errötend.
„Wir nennen ihn den großen Schweiger," erwiderte Müller
mit einem sarkastischen
Zeichen eifersüchtiger Liebe gedeutet wurde, „ich werde ihn zu
Ihnen schicken."
Den nächsten Tanz — es'war glücklicherweise der Kotillon —
trat Mali denn auch mit dem großen Schweiger an. LKtanzte
himmlisch I Und dann — dieses geheimnisvolle, eigenartige
Leuchten seiner Augen, wenn er sie ansah I welche Tiefen der Seele
und des Wissens mochte dieses schimmernde Blau verschleiern!
Mali fühlte sich gedrungen, zu zeigen, daß auch sie Seele
und Tiefe besaß, und ließ die Schätze ihres Herzens und ihrer
Pensionsbildung vor den wunderbaren, blauen Augen funkeln.
Sie plauderte über moderne Kunst, Theater und'Musik,
flocht geschickt hier einens englischen, dort einen französischen
Satz ein, berührte diskret ihre Mal- und Gesangstunden und
verschwieg weder ihre Mitgliedschaft im Samariterverein, noch
die im Verein zur Rettung armer Heidenkinder. So ließ sie
vor dem großen Schweiger, der sich natürlich an der Unterhaltung
nur durch Juhören und mit einem wohlwollenden Lächeln
beteiligte, alle ihre verlockenden Eigenschaften schillern, wie
weiland die Schlange im Paradiese den verführerischen Apfel.
Und der junge Adam, der sogar die naheliegende Bemerkung,
daß es heute sehr heiß im Saale sei, ohne Anstrengung unter-
drückt hatte, zeigte sich geneigt in das rosige Aexfelchen zu
beißen, das Eva-Mali ihm darbot.
Er holte sie wieder und wieder zum Tanz, und das Resultat
des Balles war eine liebenswürdige Einladung zum Tee an
einem der nächsten Abende, seitens der Frau Rechnungsrat.
Herr Huber, als vorsichtiger Vater, zog bei dem kleinen
Müller vertrauliche Auskunft über den Fremden ein. Müller
zuckte die Achseln. Er wußte nur, daß der junge Mann
Vekonom sei und vor kurzem einen ziemlich erheblichen Anteil
am großen Lose der Preußischen gewonnen habe.
.Vekonomh das imponierte Mali, sie schwärmte für Natur;
der Anteil am großen Lose dagegen wirkte wiederum sehr
erhebend auf die ältere Generation.
In tadelloser Eleganz trat der große Schweiger am be-
stimmten Abend an. Er begnügte sich bei der Begrüßung mit
einer Verbeugung und stummem, vielsagendem Händedruck.
Herr und Frau Huber waren bald ebenso bezaubert von
seiner Persönlichkeit, als das reizende Töchterlein; denn er
verstand die seltene Kunst des Zuhörens in so hohem Grade,
daß er wahre Redeströme aus den andern hervorlockte.
Und das alles erreichte er durch ein gelegentliches Kopf-
nicken oder ein flüchtig hingeworfenes ,Ia° oder ,Nein°.
Als man sich, d. h. Familie Huber, gründlich ausgesprochen
— man hatte alle Gebiete von der hohen Politik bis zur
Notwendigkeit einer gründlichen Erziehung der Mädchen fürs
Haus gestreift — forderte die Frau Rechnungsrat ihre Mali
auf, ein schlichtes Volkslied zu singen, „denn das geht doch
immer am kneiften zu Herzen".
Der große Schweiger blickte Fräulein Mali mit seinen
unergründlichen Augen bittend an — Mali glühte.
Ghne Prüderie, wie sie es gelernt hatte, setzte sie sich
ans Piano und sang mit ihrer frischen, runden Stimme das
Heideröslein.
„Röslein, Röslein, Röslein rot, Röslein auf der Heiden . . ."
Es klang wirklich sehr gut.
Nach dem Vortrag erwartungsvolle Pause. Mali sah
verschämt vor sich nieder. Das Elternpaar blickte gespannt auf
den Gast, dessen blaue Augen rätselvoller glänzten als je und
der vor Rührung keine Worte zu finden schien.
Herr Huber sagte ermunternd: „So 'n einfaches Liedchen
und von Goethe!"
Auch seine Gattin nickte dem jungen Manne liebreich zu:
„Ia, der alte Goethe, der kann's!"
Da dehnte sich die männliche Brust des großen Schweigers
in befreiendem Atemzuge und er sprach in dem Tone, den nur
die tiefste Ueberzeugung verleiht — es klang fast unheimlich
laut durch die erwartungsvolle Stille —: „Ia, der alte Ioethe