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Meggendorfer-Blätter — 58.1904 (Nr. 706-718)

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Nr. 708
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https://doi.org/10.11588/diglit.20903#0039
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Zeitschrift für Humor und Aunst

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„Ich freue mich, Vnkelchen, aber vielleicht hättest Du mehr
Vergnügen und Abwechslung gehabt, wenn Du uns im Sommer
besucht hättest; im Sommer, wo alles grünt —"
Lona warf ihrem Mann einen abwinkenden Blick zu.
„Ich meine in der molligen Jahreszeit, wenn der rote
Riohn im Felde glüht, und die roten Rosen duften und —"
„— und der rote Bädeker in die Welt wandertI" ergänzte
lachend der Dnkel. „Ich werde mir euern Sommer also auch
einmal ansehen müssen. Zunächst stecken wir noch im Minter,
da lebt sich's zu Hause am behaglichsten, und mehr als ein paar
friedliche, trauliche Stunden suche ich bei euch gar nichtI"
Dnkel Stefan besah sich nach dem Morgenkaffee alle
Räumlichkeiten.
„Also das ist euer Salon — nett — einladend — ich liebe
diese Farbe sehr!"
„Dieses Rot ist auch wieder ganz modern geworden I"
bemerkte Hubert ein wenig zaghaft.
„Rot?" fragte der Dnkel verdutzt.

Lona sah den Dnkel überrascht an.
„Dnkel Stefan — wie sieht hier der Lampenschirm aus?"
„Hellgrün I"
„Und dieses Postkartenalbum?"
„Wenn ich mich nicht täusche — dunkelgrün!"
„Bitte, noch etwas- dieses Gürteltäschchen?"
„Ich soll wohl eine Prüfung als Signalwärter ablegen? —
Rotes vachetteleder, wenn ich recht sehel"
„Aber Vnkelchen, Du bist ja gar nicht farbenblind I" Das
Nichtchen schlug lachend die Hände zusammen.
„Ich — farbenblind? Ich kann so scharf und richtig sehen,
wie ein Adlerjäger."
„Aber dafür ist Dein Gedächtnis um so schlechter!"
„Wettermädel, was unterstehst Du Dich?"
„Ja, um so schlechter! — Mir kommen auf einmal recht
lustige Gedanken — darf ich ein bißchen plaudern, Vnkelchen?"
„Ich habe nichts dagegen," sagte Dnkel Stefan und setzte
sich mit nachdenklich vergnügtem Gesicht in die Sofaecke.

Hubert faßte sich schnell.
„Ich glaubte, Du meinst hier diese rote Schreibmaxxe, weil
Du so beharrlich darauf blickst."
„Nein, es betrifft die ganze Einrichtung — frisch — dem
Auge wohltuend. Ihr habt ja den reinsten Frühling im Hause.
Sofa und Sessel sehen aus wie gut gepflegte Rasenstücke, und
die Türvorhänge leuchten wie grünende Heckenwände!"
„Er will uns nichts merken lassen!" flüsterte die junge
Frau ihrem Manne zu, als sich Dnkel Stefan niederbeugte, um
in einer Kunstmappe zu blättern. Hubert machte ihn später
auf einige künstlerische Wandbilder aufmerksam.
„Aha! Stimmungsbilder vom Chiemsee, vortrefflich!"
„was sagst Du zu den bordeauxfarbnen Rahmen?" fragte
Hubert lauernd.
Der Dnkel zog die Stirne kraus und sah den jungen Ehe-
mann und darnach die errötende Lona prüfend an.
„Hm! Grüne Rahmen hätten allerdings besser gepaßt —
Alle Hagel!" unterbrach er sich, „was trägst Du da für einen
entzückenden Ring am kleinen Finger?"
Hubert streifte ihn ab und zeigte ihn dem Dnkel.
„Ein funkelnder Rubin?"

„Ls war vor sechs Jahren, da ging der gute Dnkel einige
Wochen vor Weihnachten mit seiner lieben, wilden Lona
spazieren. Der Weg führte beide an prächtigen Schauläden
vorüber. Da blieb das ungezogene Mädel plötzlich stehen und
wollte auf der Stelle ein elegantes, grünes Nähkästchen, das
ihm in die Augen stach, gekauft haben. Der sonst so spassige
Dnkel machte ein sehr ernstes Gesicht und sagte: „Mein Kind,
das ist ja ein rotes Kästchen!" In lebhaftem Streite gingen
beide weiter, und da erzählte Gnkelchen dem tief betrübten
Duälgeist ,das wichtigste Geheimnis seines Lebens'. Und was
das Schlimmste war, die dumme Lona hat's geglaubt! Ja, da
lachst Du, verehrter Herr Stefan — Dein Nichtchen hat das
Geheimnis von Deiner Farbenblindheit treu bewahrt!" Sie
schwieg, als Hubert in das Zimmer trat.
„Ihr seid ja in bester Unterhaltung? Laßt euch nicht stören!"
„Dem farbenblinden Dnkel wird das Gedächtnis aufgefrischt!"
„Ja Hubert, denke nur, er ist gar nicht farbenblind! Lr
wollte mich damals nur von dem gefährlichen Schaufenster
weglocken l"
„Ich mußte alles aufbieten, Lona hätte mir sonst keine Ruhe
gelassen. Das Kästchen war mit vierzehn Mark ausgezeichnet —"

Der junge Mann nickte und wechselte, als
sich Dnkel Stefan den Ring näher betrachtete,
einen verständnisinnigen Blick mit seiner Gattin.
„Lin Geburtstagsgeschenk von mir, Vnkel-
chen I"
„Li, sieh 'mal an, so etwas bekommt wohl
nur der Schatz? Dem Dnkel schenkt man eine
Schlummerrolle."
„Sei mir nicht böse, Gnkelchen, ich wußte
wirklich nicht, was ich Dir schenken sollte. Uebrigens
habe ich die Seidenstickerei selbst gefertigt!"
„Nichts für ungut, liebes Nichtchen, an
Vein Talent denke ich jedesmal, wenn ich die
Schlummerrolle benütze."
*
Als Hubert vor dem Abendessen auf das
Postamt ging, nahm sich der alte Herr sein
Nichtchen auf die Seite.
„Weißt Du auch Lona, daß Dein Mann
farbenblind ist?"
„Nicht möglich!" Sie lächelte verlegen.
„Ja, ja, es ist so! Eure Bilderrahmen sind
doch grün, und der Stein in Huberts Ring ist
ein Smaragd und kein Rubin!"


Die Sekundäröahi!.

— „Wir müssen uns beeilen! Der Zug dampft gerade den Hohlweg herauf!"
— „Das kann er unmöglich sein, so schnell fährt der nicht, aber warten
wir's ab . . . !"
 
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