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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 27.1896 (Nr. 301-313)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16565#0099
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Neggendorfers Humoristische Blätter.

95

'S Sliiberl.

Der schlaue Zeisig.

vou Iosef j)fleger.

an diirfte kauni glauben," bcgauu hcntc der Iserr
Gbcrförster an uuserem Stammtischc seinen Erzäh-
lungscyklus, „wie schlau und hiuterlistig sc> eiu kleincs
Ticrchcn, ivie cin Zeisig mitnntcr seiu kauu. Ich stalte mir
einen schou seit mcstr dcnn siinf Iahren iu nieiuem tvohnzimmer
nnd stabc das kleine Geschöpf ob seines uiedlichcn Gczwitschers
und seincs zutraulichen tveseus rccht lieb geivonncn.

vor einigen kUouateu nun besiel mich, wie Ihr ja alle
wisset, ein hartnackiges Gstreuiibel und ich miiß noch Gott
danken, daß ich heute schou davon befreit bin, deun der Arzt
hatte bereits jede voffnung aufgegeben. Iufolge meiner Arank-
heit war ich natürlich gezwnngen, das Zimmer zu hiiten und,
meincr Trcn, ich will nicht fluchen, aber eine größere Marter
lflittc mir Gott uicht auferlegen könncn I Dcn ganzen lieben
Tag so da zu sitzen uud ins Blauc zu stieren, dabei aber an
Seele und Leib bis anf die verfl .... Löffel gesund zu sein!
lvenn ich wenigstens Lust zum Lesen hätte, so aber habe ich
nun einmal gar keinen Glanbcn für die Geschichteu anderer
und kann das gedruckte Zeug uicht leiden.

Doch, um auf mciuen Zeisig zurückzukommen, so ärgcrte
mich dcr am meistenl Biß die kleine Bcstie nicht von früh
morgcus bis spät abends den Schnabel aus und zu, als ob dic
gauze tvelt voll wäre von Lust und Scligkeit uud es keinc
Gbrenkrcinkhcitcn gäbel ilud ich kouute sie dabci nicht einmal
hörcn; denu crstens warcn, wie der Doktor sagte, beidc Trommel-
fclle zu dick augcschwollcn und zweitens hattc ich in jcdes Ghr
soviel Ivalte gestopft, daß auch die Stimme meiues wackern
Dackels uicht durchdringcn kouutc.

Aurz und gut, die Sache zog sich so durch mehrerc INonate
wciter, bis cs schlicßlich xlötzlich besser ward uud ich mich in
cinigen wenigen Tagen soznsagen geheilt nenncn durstc. Illcin
Zeiflg, den ich iu letzter Zcit gar nicht beachtot hatte, da es
mir ja keineu Gennß gewähren konute, ibu den Schuabcl
öffnen und schlicßen zu sehcn, kam mir nun auch wieder iu
den Sinn und ich trat cines schönen Illorgens vor seinen Aäfig,
uui nach langer, langer Zeit scin gelicbtes Stimmchen wiedcr
zu HLrcn. Ivie groß aber war nicin Lrstauneu, als ich ihn
da zwar auf der oberstcn Sprosse sitzen und sein Schuäbclchen

)^7ei lserz is' a Stüberl,

^ vrin haust mei liaba Schatz;
Dcr spreizt si', daß koa andera
Im Stüberl hat mehr Platz.

„INci Büabl," sag i' oft dazua,

„I' laß mir's ja gern g'fall'n,

Ivillst pünktli' Du den Zins uur a
INit echto Busserl zalfl'n."

Wilh. Kemmercr.
 
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