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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 41.1900 (Nr. 484-496)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20910#0100
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92

Meggendorsers Humoristische Blätter.

Da» Modell.

wählen will. Ich bin deshalb zur Zeit Stoiker. In einigen
Tagen wird sie wohl bekehrt sein."

„Um so besser, so bist du also frei und holst morgen um
elf Uhr meine Frau ins Uluseum. Uaß du sie aber nicht vor
ein Uhr wiederbringst, Dtt, hörst du?"

Der Maler blieb, wie meist gegen den Freund, Sieger. Ls
war wirklich ein zierliches porzellansigiirchen, das der letztere
am andern Morgen unter den Göttern und Heiligen der alten
Italiener und Niederländer herumführte. Man mußte es dem
jungen Privatdozenten lassen, einmal im Fachsimpeln ging er
unverdrossen ins Zeug und erfüllte seine Pflicht als ein gründ-
licher Aathedermann.

Zwei Tage sand auch Llly vergnügen an dem Uursus,
viel mehr allerdings, weil sie daheim den Nlann so vergnügt
vorfand und von ihm mit größter Zärtlichkeit emxfangen wurde.
Ligentlich schienen ihr Io und Leda sehr frei und sie wunderte
sich, was wohl des alten Tizian Frau dazu gesagt haben werde.
Aber dann der Ulann, der behauptete, seit sie nicht alle zehnte
Minute dem Orang nach dem Atelier nachgeben könne — es
war noch im Honigquartal — arbeite er doppelt so schnell.
Richtig war, daß die böse Germanin, wegen der er so lange
gejammert hatte, nun reißende Fortschritte machte. Llly bildete
sich ein, da er eine Menge alter — wie sie im Stillen sagte,
frecher — Aktstudien um sich stehen ließ, er male jetzt nach diesen
und warf ihm vor, er habe das früher als unmöglich erklärt.
Da er sie als Antwort nur tüchtig abküßte, erließ sie ihm weitere
Auskunft.

wenn nun bloß der Doktor ausgehalten hätte!

Aber schon am dritten Tage war dieser mit seinen Lr-
klärungen zerstreut. Lr sprang einmal von Dürer unvermittelt
zu Greuze, was sogar der Schülerin auffallen mußte. Dann
ließ er den Waaen, der sie heimführte, einen Umweg machen,
ohne sie zu benachrichtigen, sprang hinaus — nur eine Minute:
„Notwendiger Gang — kranker Kollege." Gleichgiltig sah ihm
Llly nach. Sonderbare Gegend, seltsames bjaus, wo der Aollege
wohntel

Aber der Doktor kam sogleich wieder, wie es schien, etwas
unzufrieden. Am nächsten Tag war die Sache ärger. Er er-
klärte vor einem Schinkenstück des van Beeke eine heilige
Familie des Tiepolo und entschuldigte sich damit: er müsse so
viel an den kranken Aollegen denken. Da war es denn kein
wunder, wenn der Besuch bei diesem wiederholt werden mußte,
ebenso, daß er länger dauerte, so daß die Wartende das prole-
tarische Gepräge des Duartiers noch genauer erkennen konnte.
Ls sah nachher aus, als ob der Dozent sich bei seinem Aranken
geärgert hätte; er kehrte mit rotem Kopfe zurück und gab auch
über die Art des Uebels, von dem der Kollege befallen worden,
nur sehr verworrenen Bericht.

Den Morgen darauf wurde es unerträglich. Bei der Lr-
klärung der ffamländischen Maler richtete er eine solche ver-
wirrung an, daß Llly ihn offen auslachte und meinte: er
komme ihr selbst vlämisch vor und sie wollten lieber des grau-
samen Spiels genug sein lassen. Lr stimmte mit Freuden zu,
obgleich erst die bjälfte der gewohnten Zeit verstrichen war.
versprechen und Pfficht waren vergeffen. Der Umweg des
Kranken halber war nun bereits selbstverständlich. Aber der
Besuch war diesmal für die im wagen wartende junge Frau
von unerträglicher Länge. Sie stieg zuletzt aus und redete,
um die Zeit zu kürzen, den Kutscher an.

Da sie so früh aufgebrochen waren, konnte die sonst von dem
vorsichtigen Gelehrten mit vorliebe benützte Droschke noch nicht
zur Stelle sein und, statt des gewohnten verschwiegenen klugen
Rossebändigers, saß ein täppischer noch unbeleckter Provinziale auf

dem Bock. Daß er keine Auskunft über den kranken Gelehrten
geben konnte, war also natürlich; aber er lachte verschmitzt.
Lr wohne nicht weit von hier — da herum gäb's gar keine
Professoren. Aber der Ljerr Doktor müsse sich wohl da oben
— er wies mit der Peitsche auf das ksaus — recht ärgern;
er habe ihn vorhin tüchtig fluchen hören. Nun wurde es der
" jungen Frau plötzlich unheimlich; eine unbestimmte Angst ergriff
sie und sie befahl dem Mann, sie unverzüglich heimzufahren,
wobei sie den wagen an der Straßenecke halten ließ, und die
paar Schritte zum kjaus und in dieses hinein mit ihr selbst be-
fremdlicher Lile huschte.

Die kjaupttreppe zur tvohnung ließ sie links liegen und
erstieg vom Garten aus, über eine schmale eiserne wendeltreppe;
einen Balkon, der zum vorraum des Ateliers Zutritt gewährte.
Den Schlüssel zur Balkonthüre hatte ihr schon in den ersten
Tagen Ralph machen lassen — was für Dummheiten begeht
nicht ein glücklicher junger Lhemann?

Da diese Thüre stets oerschlossen blieb, war die innere,
von einem Teppich verhüllte, unversperrt. Aber die Lilige
mußte einen Augenblick anhalten, um Atem zu schöpfen.

Die kraftvolle Stimme ihres Mannes schlug durch alle
ksindernisse deutlich an ihr Vhr. Lr lachte unbändig. Dann
sagte eine helle lveiberstimme etwas, das sie nicht verstand,
aber der Klang allein machte ihr kjerzblut stocken. Sie lehnte
kraftlos am Thürpfosten, die kjand auf die Brust gepreßt.

Drinnen lachte der Mann wieder, daß es dröhnte: „Und
so ist der kserr jeden Tag gekommen und gestern hat er der
Mutter gar Spektakel gemacht? Aber warum lassen Sie sich
nicht erweichen, Fräulein Mieze?"

Der Frau an der Thüre ward mit einemmale ganz leicht
ums kjerz. Lr sprach so ruhig und höflich. So gleichgiltig.
Die lveiberstimme wurde verständlicher. „Ich mag nimmerl
Ls geniert mich, daß ich so stark bin und er solch Alräunchen!"

Darauf die Männerstimme: „Ich bin ihm allerdings für
seine Fehler dankbar, wenn ich Ihnen Ihren Lntschluß schulde,
aber gleichwohl — was macht denn die Größe aus in der Liebe?
Sehen Sie, zum Beispiel, meine Frau ist auch so ein Mäuschen."

„So?" meinte die lveiberstimme etwas verächtlich; „na ja,
bei Damen mag das ja so viel nicht schaden, aber ein Manns-
bild, nein, da muß was dran seinl Ia, der kjerr Professor
und ich, wir thäten schon zusammenpassenl"

Nun fand Llly für gut, ihre Meinung auch anzubringen;
sie schlüpfte hinter den Teppich und stieß flink die Thüre auf.

Der Maler drehte sich rasch um; das Modell starrte er-
schrocken nach der Lintretenden, die den erstern gar nicht ansah,
sondern schnell auf das Gerüst zuging, das den wagen vertrat.

Das Weib da oben wäre für jeden andern Blick prachtvoll
gewesen, obgleich die moderne Frisur — der Maler war mit
dem Kopfe schon länger fertig und brauchte ihn nicht mehr —
nicht zu dem fast nackten Vberkörxer stimmen wollte, an dem,
den Kampf zv markieren, Linnen und Schaffell zerrissen über
den Gürtel hingen. Die Frau hielt einen mächtigen kjammer
in der Faust. Sie hob ihn jetzt unwillkürlich — aber nicht
gegen Slly, die noch kein wort herausbrachte. kjinter dieser
stand plötzlich der Doktor und rief halb wütend, halb ironisch:
„Ich grüße das ehrsame ksandwerkl"

Das wort wirkte wunder. Die Germanin ließ den kjammer
fallen, setzte mit dröhnendem Sprung vom Gerüste und ver-
schwand hinter ,einem zweiten Teppichausgang. „Also das ist
dein Glücksfall?" wandte sich Gtto an den Freund, „und die
Geschichte geht nach allen Richtungen auf meine Kosten."

„Konnte ich wiffen, daß es deine neueste Nummer sei?"
gab der andere, mit Mühe das Lachen bezwingend, zurück.
 
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