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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 47.1901 (Nr. 562-574)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16557#0147
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Meggendorfers Humoristische Blätter



Dankl Ein Tyrann bist Du, ein gewissenloser, nngerechter"
. . . . — „5ophie, 5ophie, die Friedensteller!" — „Natürlich,
ich soll wieder an die Friedensteller denken, während Du unge-
straft Streit ansängst." — „Ich habe doch nicht angesangen." —
„Nun, das ist noch schöner! Also ich habe angefangenl Ich
habe gesagt, die lNehlspeise sei angebrannt, und es sei heute
ein ganz miserables Lssen." — „Aber §chatz, Du übertreibst!"

- „Ich wiederhole ja bloß Deine Worte: wer hat also über-
trieben?" Und in diesem Ton ging es eine N)eile sort, bis sie
in Thränen ausbrach und ich sie tröstete und um Oerzeihung
bat. Dann beschlossen wir diesen kleinen Zwischensall angesichts
der raschen und gründlichen Auslöschung nicht gelten zu lassen,
wie damals die Nlortwechsel der bsochzeitsreise, und wir aßen
nach wie vor mit annähernd gutem Gewissen aus den Friedens-
tellern, und Tante Tulalia, der Friedensengel, sand siets alles
in schönster charmonie bei uns. Aber solche harmlose Aleinig-
keiten kommen im täglichen Leben des Ehestandes unzählige-
male vor, und schließlich mußte eine Aatastroxhe kommen.

Ia, wären die Teller nur von Gold oder 5ilber gewesen,
— aber ^dorzellan, zerbrechliches jdorzellanl

Tines Tages sand sich wieder ein Anlaß zu einem kleinen
Meinungsaustausch. Ich erhielt eine Verlobungsanzeige von
Freund Wolfgang.

„!Ver ist diese Laura?" sragte Soxhie.

„lVolsgangs Braut," erwiderte ich.

„Das sehe ich selber! Aber ich meine, in welchen Bezieh-
ungen steht sie zu Dir?"

„Zu mir?I In gar keinenl Ich kenne sie gar nicht."

„Lächerlich! Du kennst sie nicht, und doch schickt sie Dir
eine Verlobungsanzeigel"

„Aber ich bitte Dich, lVolfgang schickt mir doch die Anzeige,
er, mein bester Freund."

„Leugne doch nicht so einsältig, das Touvert ist an Dich
adressiert, und zwar ist die lhandschrift osfenbar die einer Dame."

„Aber 5chatzl wie ost kommt das vor! lNachtest Du Dir
selber nicht ein Vergnügen daraus, unsere Verlobungsanzeigen
nach meinem Diktat zu überschreiben? Da bekam mancher meiner
Freunde, der Dich nicht entsernt kannte, eine Zchristxrobe
von Dir."

„Diese schlaue Ausslucht hilft Dir nichts: ich bin hinter
Deine Schliche gekommen; erst letzthin sand ich in Deinen alten
Schulheften ein glühendes Liebesgedicht, „^dhantafie an Laura"
überschrieben."

„Aber Beste, das ist doch von Schiller."

„Von Lchiller? Röstlich, wahrhast köstlichl Der gute Schiller
muß doch an allem schuld seinl Du traust mir also zu, daß ich
Dir glaube, Zchiller habe in Deine 5chulheste hineingesudelt,
noch dazu mit Deiner eigenen lsandschrist."

„Natürlich habe ich es abgeschrieben."

„Immer besserl Schiller hat das Lied von der Glocke ge-
dichtet und den Aamps mit dem Drachen, aber solch sentimentale
Liebeslieder, — neinl Dazu war er nicht sähig! llebrigens,
wozu hättest Du es abgeschrieben?"

„Nun, die Verse gefielen mir."

„So, so, die verse! Ich will Dir's sagen; die Laura gefiel
Dir, die Laural" und nun solgte eine solch heftige 5trafpredigt
über mein angebliches Don-Iuan-Leben, daß ich schließlich auch
in lsarnisch geriet.

Als 5oxhie anfing, den Aürzeren zu ziehen, sand sie es an
der Zeit, mich an die Friedensteller zu mahnen. Das hieß aber
Gel ins Feuer gießen: „lVas, Friedensteller?!" ries ich ent-
rüstet: „Sollen sie mich immer hindern, meine gerechte Sache
auszusechten? Ghne Streit gibt es keinen Friedenl Fort da-
rum mit dem heuchlerischen jdorzellan." Damit warf ich Lophie
den einen Teller vor die Füße; denn es war gerade Tssenszeit

und wir standen vor dem gedeckten Tisch. Ltwas unsanst aus
die Diele sallend, ging der Teller in Scherben.

Soxhie war nicht diejenige, die sich eine solche lseftigkeit von
ihrein angetrauten Gatten hätte bieten lassen; sie ersaßte den
andern Teller und wars ihn mir nicht vor, sondern aus die Füße,
und zwar mit solcher Lleganz, daß ich nicht bloß ausstöhnte,
sondern auch der Teller trotz des verhältnismäßig weicheren
Aussallens zerbrach.

liaum war jedoch die gräßliche That geschehen, so kamen
wir zum Bewußtsein ihrer ganzen Tragweite.

Tinen llloment standen wir wie erstarrt; dann schlug Sophie
die lsände vors Gesicht und ries entsetzt aus: „lVas wird Tante
Tulalia sagen?"

„Ach was! Die Tante Eulalial lVas kümmere ich mich um
die alte sentimentale Närrin: fie ist eine verrückte Romanschrei-
berin, weiter nichts, und ist mit ihren dummen Friedenstellern
schuld an dem ganzen Aerger."

„Aber fie ist doch die Trbtante."

„Trbtante?! o nein! von heute an gewiß nicht mehr," tönte
es mit bitterm lsohn von der Thüre her. „Damit ist's aus und
zwar sür immer. Da also liegen die Trümmer der schönen
Zriedenstellerl llnd da steht die heuchlerische Schlangenbrutz
die mir so lange ungestrast ihr Spinnengist in die poetischen
Adern meiner Augen streute. Aber die 5onne brachte dieses
Gewebe an den Tagl 5o lebet denn wie lsund und Aatze,
euer Friedensengel verdustet wie die Zcherben dieses echten
Porzellans." llnd damit verdustete sie in der That, die Scherben
aber verdusteten nicht.

„Achl wären sie doch wenigstens von 5ilber oder Gold
gewesen l" seuszte ich; „dann wären sie noch ganz und ich hätte
mich nicht zu meinen verhängnisvollen Aeußerungen hinreißen
lassen l" -

Tin Gutes hatte übrigens die 5ache: mit dem Verdusten
des „Friedensengels" und dem Zerbrechen der „Friedensteller"
schien xlötzlich aller llnsriede aus dem lsause gewichen. lVir
hatten ja immer glücklich gelebt; aber es war, als sei ein
Reiz zum Zank vorhanden, so lange die Teller noch da waren,
wie ja Verbot und lsindernis eben zur 5ünde verlocken. Nun
wurden die Zriedensteller nicht mehr genannt; aber es war,
als umschwebe uns der Geist ihrer Scherben und ersticke jeden
kleinlichen 5treit im Keime.

Das vermehrte Glück und der stille Frieden in unserer Lhe
ist gewiß mehr wert als die reiche Lrbschast, die uns entging.
llluß ich mich auch unendlich xlagen, so ist doch ein arbeitsames
Leben meine Lust, und wir haben immer unser Auskommen.

Tante Lulalias Rache war aber wirklich rasfiniert: Vetter
Lmil wurde ihr llniversalerbe, ein lllensch, den ich von jeher
nicht ausstehen konntel Als nächster Nachbar chikaniert er mich
nun, wo er kann. Nun! das ist mir jetzt einerlei, und ich habe
mich daran gewöhnt, sein impertinentes Gesicht über die Grenz-
steine herüberlächeln zu sehen.

Aber da sehen 5ie hinaus: aus Lchritt und Tritt versolgen
uns die Friedensteller. Sie müssen selber sagen, die Bedachung
jener beiden slavillons, die der liebenswürdige Nachbar aus dem
lsügel errichten ließ, der meinen ganzen Güterkomplex beherrscht,
gleicht so vollkommen zwei Porzellantellern, daß die Absicht
klar wäre auch ohne die Inschrist, die über den sdsorten dieser
chinesischen j)orzellantürme steht und welche lautet: „Zum ewigen
Andenken an die segenstistenden Friedensteller."

llleine Ainder sind Lmils Lrben, daran kann er insolge
der Familiengesetze nichts ändern: so lange noch Sprossen der
Familie leben, dars das Gut in keine sremden lhände sallen;
und Lmil ist kinderlos. 5eine Friedensteller ärgern mich auch
schon lange nicht mehr. Dennoch, junger lllann, wenn Sie eine
Lrbtante haben, und dafür spricht das ungeteilte Interesse, das
 
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