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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 47.1901 (Nr. 562-574)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16557#0158
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^lt eggend orsers u m o r i st i s ch e Blätter.


Zlber „Nausel" weinle jämmerlich und wollte sich durchaus
nicht trösten lassen.

„Iedensalls bleib' ich armer Aerl den ganzen Abend auf
meiner Amde. Aielleicht rührt ihr zum heiligen Abend Mntels ^
hartes löerz. — Dann schicke sosort einen Boten an mich.
lveine doch nicht! mir ist so weihnachtsselig ums löerz, past
aust heut' — —"

„ioimmelkreuzdonnerwetter! wo ist die Lotte wieder? Lotte!

— Lot - — te!"

Lotte wischte sich schnell die Thränen aus den rotgeweinten
Augen und drängte Walter angstvoll zurück.

„Ia, Gnkel! - hier bin ich," ries sie vortretend. „Ich
hole nur jdsasfenhütchen zum chüllen der Vasen." Und unbarm-
herzig riß sie Zweige voll der leuchtend roten Früchte ab.

„Bist Uu verrückt?" schrie Gnkel Bendemann, „ruinierst
mir den ganzen 5trauch. Gleich komnü 'raus. N)o ist Tante?
U)o ist der insame Bengel, der Tberhard?" -

Lotte slog. Angstvoll hörte sie im Lausen mit welcheni
Gepolter U?alter Uerbert über den Bretterzaun voltigierte.
Aber Gnkel Bendemann war viel zu zornig, um aus das Gepolter
eines anderen acht zu geben — besonders wenn e r poltern
wollte. Und Gnkel Bendemann „wollte" gar ost. Tr war
zwar eiqentlich cine jDerle von cinem Ukenschen, aber diese
jderle war, qleich einer cchten Uastanie, in eine sehr stachlige
Uülle eingeschlossen. Lottc, seines einzigcn Bruders Uind, die
seit dem Tode ihrer Tltern bei ihm erzoqen wurde, hatte das
in letzter Zeit gar ost ersahren und sie war der Uleinunq, daß
die 5tacheln die j?erle bedenklich überwogen. Uenn aus Gnkel
Bendemann ivirkte der Anblick eincs Leutnants wie dcr Anblick
eines 5charlachtuches aus den andalusischen 5tier, und daschonnte
Lotte Bendemann wirklich nicht begreisen. U)ie war es denn
nur möglich, so einen sröhlichen, schmucken, sungen Urieger nicht
gern' zu sehen? Aber Gnkel Bendemann hatte kcincn L-inn sür
diese 5chönheit, und dcr Tag, als er bemerkt hatte, daß U?alter
cherbert öster am Uause vorüberging und tiefer „so mit dem
gewissen uvec" grüßte, als geradc nötig, gehörte nicht zu den
schönsten in Lottes jungcm Leben.

Gnkel Bendemann blickte mißtrauisch in das blasse, ver-
wcinte Gesicht Lottens, in dem sich die Rosen, die sonst aus
den runden UUangen blühten, in die Augen und aus das Näs-
chen konzentiert hatten. „j?sui Dcibel!" sagte er, mehr ausrichtig
wie höstich. „Das ist also cin sogenanntes Thristkindelabendqe-
sicht?! ?chäm'Dich etwas! Iu was soll denn diese ewige Ueulerei?
Geh' rein, und kümmere Dich um die Lampen, statt im seuchten
Garten 'rum zu irrlichterieren und nachher auszusehcn weiß
Gott wie. — U?o ist Tante?"

„N)eiß nicht, Gnlelchen —"

„Ttwa wieder in so einer wahnsinnigen spiritistischen
Sitzung? Sieht ihr ganz ähnlich —reizend, am heiligen Lhrist-
abend. U)o ist Eberhard?"

„U?eiß nicht, Vnkelchen -"

„U)eiß nicht — weiß nicht — wciß nicht, Gnkclchen!"
höhntc Gnkel Bendemann, indem er seine Baßstimme zu
Flöteutönen herausschraubte, was wahrhast gräßlich anzuhören
war. „U)cißt cs nicht - iveißt überhaupt nie etwas. Aber
wenn ich sragen wollte, wo sich der Uerr Lcutnant Ulalter
Ucrbert in diesem Augenblick bestndet, das ivüßtest Du wahr-
scheinlich." —

Lottc warf cinen wahrhast entsetzten Blick in den Garten,
der Gnkel Bendcmann veranlaßte, plötzlich sehr schnell die Ueran-
dastusen hinabzueilen, und einen Nekognoseierunqsqang durch
die Ueckenwege anzutreten. Lotte stog ins Uorderzimmer, wo
sie zu ihrer Trleichterung und mit tiesem Ausatmen Ualters
Gestalt schon aanz weit entdcckte. Gleichzeitiq stelcn ihre Blickc

aus den einzigen Stammhaltcr des Bauses Bendemann, den
zehnjährigcn Tberhard, der selig einen roten Ballon — wie
sie von herumziehenden kfändlern verkaust werden, in die kiöhe
blies und xusfte. Der Ballon war schon etwas matt und erhob
sich nur noch zur Ulauncshöhe.

„Berrgott, Lberhard, Bater sucht Dich uud ist schon ganz
bös. Gib das Ding her Du sollst doch nicht mit solch'
kindischem Zeug spiclen, großer Iunge! jdapa ärgert sich ein-
mal darüber. Gib doch — ich laß ihn unterdessen im Garten-
zimmer stiegen — er kommt ja doch immer tieser." Sie haschte
den Ballon und zog ihn herein, was Lberhard zu schreiendem
Protest und wilden Thränen vcranlaßte. „Ureuzhimmeldonner-
wetter! cheult denn heute das ganze 6aus?" schrie Gnkel
Bendemann. Lotten wurde die Antwort crspart, dcnn es nahte
Tante Bendemann, mit vielen, verheißungsvoll aussehenden
jdaketen beladen und stellte sich mutig dem kollernden The-
mann gegenüber.

„Das ist wohl kein Ulunder, Bendemann," sagte ste streng
„und nach der Ursache braucht kein Utensch zu sragen, der Dich
kennt, Bendemann! 5ieh diesen armen Anaben an — er weint —"

„Zch hab' ja dcn Bengel nicht angerührt," schrie kserr
Bendemann empört.

„Tieh' Deines einzigen Bruders Uind, unser liebes Lottchen,
an," suhr Frau Bendemann unentwegt und mit erhobener
Ttimme sort, „sie weint -- oder vielmehr, sie hat geweint, deun
sie hat eine rote Nase. Dein 6aus ist ein 6aus der Thränen,
Bendemann! Und, passe nur aus, Bendemanu! Dein Bruder
wird noch Rechenschast von Dir sordern, weil Du sein Lottchen
unglücklich machst."

„cho, ho, ho!" amüsierte sich cherr Bendemann. „Bab'noch
nichts bemerkt davon. 5oll aber nur 'ruuterkommeu, mein guter
Bruder stell' ihm alle Tische im ganzem Uaus als Logis
zur Nersügung. Dann natürlich werd' ich mit U)onne der Lotte
den hübscben, bunten, zuckersüßen Leutnant au den Baum hängen
- wenn er's verträgt. Aber sonst kriegt ihr mich nicht herum,
und wenn ihr alle cure U)asserkünfte spielen laßt."

5prach's, und zog triumphierend ab. „Ach, liebes Tantel,"
klaqte Lotte — „er ift zu schlimm. Nichts rührt ihn. Und
bis ich mündig werde, ist's noch eine Ewigkeit. Ach ich bin ja
erst ach — ach — achtzehn Iahr!"

Und die „U)asserkünste" stngen wirklichbedenklich an zu stießen.

„Uorch! dic Glocken, Lotte!" Tante Bendemann drückt
ihr schluchzendes Lottchen sest an die Brust, und streichelt chnst
und beruhiqend über das lockige Uaar. „Zä? versuch's noch
einmal, Lottchen! Zn dieser U)eihestunde nnter dem challen
dieser sinqenden Glocken erweicht sich vielleicht doch sein Uerz
oder Dein sel. Bater gibt ihm einen guten Gedanken ein.
Denn sie sind uns nah', unsere Lieben, und er soll es schon
spüren!" schloß Tante Bendemann, und schob ihr Lottchen aus
der Thüre.

Lottchen schlich sich sacht ins weihnachtszimmer. Da stand,
sunkelnd und blitzend,in einem L-chleier silbernen „Tngelshaares,
der Thristbaum. Gben an der —pitze schwebte cin unsagbar
liebliches Thristkindlein aus wachs, dessen Flüqelchen matt
schimmerten. Lotte schämte sich sast — aber sie saltete doch die
Uände, und hob die thräncngesüllten 2lugen zu dcm lächelnden
Uindlein empor.

„Schenk' ihn mir doch!" stüsterte sie; „ich hab ihn >o un-
endlich lieb ach, schenk' ihn mir, Thristkindlein!"

Thristkindlein saqtc nichts -- aber der wind trug den ^chall
der Glocken einen Augenblick stärker und süßer herein. War s
nicht ein Zeichen? —

Drei Zimmer weiter wurde zu derielbeu Zeit ein harter
Aamps qekämpst. Tante sührre alle Geistcr der viertcn Dimension
 
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