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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 48.1902 (Nr. 575-587)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16550#0039
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Zeitschrift für Lfumor und Aunst

35

Vielfagende Äuskunft.

wirt: „kfat der Gast schon gegessen?"

Äellner: „Nein, er ringt noch mit deni Braten."


lserr Leutnant, ich lnn bereit. Gelien wir!" ladet ihn Gberst-
leutnant Rabel freundlich ein. In der Thüre dreht sich Leutnant
Mühlheim nochmals um nach dem Norzimmer, in dein er fünf
entsetzliche Ulinuten verbracht hatte. Es kam ihm vor, als hörte
er einen unterdrückten Angstschrei. Und richtigl dort steht die
Grdonnanz und betrachtet niit bleichem, starrem Gesicht den Rock-

-i- -i-

-I«

Mberstleutnant Rabel ist ein gemütlicher kserr und interessiert
sich sehr für die Glasfabrikation. Ulühlheim, aus seiner Be-
drängnis befreit, kann nicht genug schildern und erzählen, so
daß die kurze Ltrecke bis zu Bberstleutnants wohnung in leb-
haftem Gespräche zurückgelegt wird.

Mberstleutnant Rabcl eilt im vorzimmer voraus, uin seine
Frau zu benachrichtigen, wie er sagt, und Mühlhcim will noch
rasch in dem hohen Spiegel prüfen, ob auch der rettende waffen-
rock richtig sitze und sonst alles in Grdnung sei. Bei der Freundin
seiner licben Ienny muß er doch einen guten Lindruck machen.

Doch beim ersten Blick in den Sxiegel verwandelt sich seine
kaum wiedergewonnene, natürliche Fröhlichkeit in das größte
Lntsetzen. „Alle wetter! was ist denn das?" stammelt er er-
bleichend. „Ietzt bin ich gar Gberleutnant geworden. Nun,
ihr Götter steht mir bei!" — „Ich bitte, herr Leutnant," tönte
auch schon dic Stimme des Gberstleutnants an sein Dhr. Ihn
überrieselt es eisig kalt, doch hier gibt es kein Zurück. Lr tritt
in den Salon ein. Uut krampfhaft steif gehaltenem Aopfe ver-
beugt er sich vor der Frau Dberstleutnant, die ihm in der
liebenswürdigsten weise entgegen kommt, und jedes Zeremo-
niell beiseite lassend, herzlich begrüßt und sich lebhaft nach
ihrer guten, lieben Freundin Ienny erkundigt. Die Aufmcrk-
samkeit des Vberstleutnants wird zum Glück durch einige Fau-
teuils abgelenkt, die nicht in der'richtigen Front standen, so daß
er hineilte, sie in Reils und Glied zu bringen, denn bei so einem
alten Soldaten muß alles scharf gerichtet sein. „In N ... berg
lst es im winter wohl sehr einsam?" fragt die Frau Vberst-
leutnant. „Ia sehr," stottert lNühlheim und fährt sich mit dcr
kland zum Uragen. Ls schnürt ihm fast die Achle zu. Frau
^berstleutnant schien etwas enttäuscht zu sein von dem Gatten

ihrer lieben Frcundin. Dieser bleiche kjerr mit dem stcifen Nacken
nnd den verlegenen Bewegungen könnte ihr nicht gefallen.
Dabei versucht sie vergeblich mit Mühlheim ein Gespräch in
Fluß zu bringen, der am liebsten in ein Mauseloch gekrochen
wäre. „Nun dafür muß es im Sommer herrlich sein, in den
schattigen wäldern wandeln zu können? — nicht, kserr Vber-
leutnant?" — „Leutnant, meine Liebe," verbeffert der Vberstleut-
nant. Frau Gberstleutnant schien dies überhört zu haben und
fährt ruhig fort: „Und Ihre Frau Gemahlin, lserr Gberleut-
nant ..." — „Leutnant," fällt ihr der Gberstleutnant ins wort
und dreht sich ärgerlich um, wie kann ein derartiger verstoß
seiner Frau nur passieren. Doch er bleibt wie angewurzelt am
platze stehen und wischt sich über die Augen, ob er denn auch richtig
sehe. Ia was ist denn das! Das ist doch Leutnant Mühlheim
und auch nicht. „Zum Teufel!" platzt er heraus, da er bei schär-
ferem Ljinsehcn erkennt, daß Mühlhcim ja wirklich das Abzeichen
cines Gberleutnants, zwei Sterne auf jeder Seite, trägt. „wie geht
denn das zu, kjerr Leutnant?" —„Vberlcutnant," vcrbessert jetzt die
Frau Gberstleutnant. „Leutnant," krächzt Mühlheim mit heiserer
Stiimne. Lr möchte in den Boden sinken. Dic nun eintretende
xeinliche Stille erscheint ihm endlos. — Frau Dberstleutnant
lächelt leise. „Ls muß das ein Mißverständnis sein," unter-
bricht sie die verlegene pause und blickt Mühlhcim aufmunternd
an. „Lin Mißverständnis," nickt der und versucht gleichfalls
zu lächeln. Ls sieht aus, als sitze er auf einem Ameisenhaufen
nnd könne nicht fort. So ist der Ausdruck seines verzerrten
Gesichts. Auch der Vberstleutnant muß anfangen zu lachen
beim Anblicke des ganz verzweifelt dasitzenden Leutnants. „Aber
kserr Leutnant, wie kommen Sie denn zu diesem Rocke?" Mühl-
heim klebt die Zunge am Gaumen im wahren Sinne des wortes.
Ls bleibt ihm nichts anderes übrig, als alles zu beichten. An-
fangs stotternd und zagend, erzählt er den ganzen kjergang
seines heutigen Mißgeschickes. Bei der zunehmenden kjeitcrkeit
des Vberstleutnants und seiner Gemahlin nimmt auch seine
Befangenheit und verlegenheit mehr und mehr ab, so daß er
zum Schlusse sclbst mit cinstimmen muß in das schallende Gelächtcr
des Gberstleutnants, dcr, jovial wie er war, bald erkannte, daß
die ausgestandenen Vualen dem armen Leutnant genügende
Strafe seien für sein Vergehen.
 
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