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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 50.1902 (Nr. 601-613)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16552#0133
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Zeitschrift für Lsumor und Auust



„Die Frau fahrt ja gar nicht mit!" brununte kserr
Niedermayer.

„5chon! Tlber der tserr Bberinspektor soll doch den 5abel
mitnehmen, ist ja eine Dienstreise!"

Das Schwert war trotz der Beaugapfelung seitens der Ge-
mahlin vergessen worden und nrußte geholt werden. Ium Um-
gürten war keine Zeit mehr, der Säbel wurde. rückwärts im
tvagenfond placiertz dortz wo man sonst Regenschirme anstaut.

Nach zweistündiger Fahrt bergauf- und ab wurde die Grenz-
aufseherstation Feldbach erreicht. Rupert lenkte gewohnheits-
gemäß das Gefährt zu dein Lsause, das seit Nenschengedeuken
vier Mann Grenzaufseher beherbergt und, wiewohl ein jdrivat-
haus, amtlich als Aasernenstation bezeichnet wird.

„So, da sind wir wieder einmal!" sagte Niedermayer, stieg
aus nnd befllhlte die alten Rnochen, die von der langen Fahrt
auf schlechter Straße steif gcworden sind. Langsam stapfte der
Gberinspektor ins lhaus, kletterte die knarrende Lsolztrexpe
empor und öffnete ohne weiteres die Türe der „Führer"-
Aanzlest wo sich vorschriftsgemäß der sogenaunte Dienstkaften
befinden muß.

Der „gute Morgen" als Gruß blieb dem Beamten im
Lsalse stecken beim Aublick, der sich seinen Augen darbot. Line
Amtskanzlei, in welcher sich kcin Beamter, dafür eine Miege
mit schreiendem Rind, cine Unzahl seltsam duftender U?indeln
am Vfen und eine dürftig bekleidete Rindsmutter befiuden, das
ist gegen alle vorschrift und darf nicht geduldet werden. Nieder-
mayer fühlte sich bei aller sonstigen Seelengüte streng dienstlich,
und fragte erst nach dem Führer (vorgesetzten der Grenzauf-
seher) und dann nach dem Dienstkasten.

Das Weib konntc keine befriedigende Ausknnft geben.

Wie die Stube reglementwidrig möbliert ist, cinfach skanda-
lös: kein Schreibtisch, kein Registerregal, kcin Dienstkasten! Lin
derangiertes Rindszimmer, keine Ranzlei!

Niedermayer hoffte auf eine Ranzleiverlegung; vielleicht
ist ein leichter zu heizendes Iimmer zur Aanzlei gewählt
worden. Also ging der Vbcrinspektor durch den Rorridor und
trat in das gegenüberliegende Gemach, um aber infolge
mörderischen Geschreis sogleich zurückzuprallen. lvo eiue länd-
liche Schönc die Leibwäsche wechselt, kann kcine Amtskanzlci
sein. Line merkwürdige Grenzerstaiion!

Niedermayer kletterte die Treppe hinunter und forschte in
den jdarterre-Räumlichkeiten nach der Dienstkanzlei der Grenz-
wache. Lin alter Bewohner belehrte den Inspektor, daß die
Grenzer schon seit vier Wochen nicht mehr in diescm lhause
wohnen.

„lherrgott, darauf habe ich ganz vergessen I" stammelte Nieder-
mayer, „ja ja, ganz richtig, die Station habe ja ich selber auf-
gehobenl"

Mt der durch das Alter ge-
botenen vorsicht begab sich der
Beamte zum lvagen hinaus und
sagte: „Rupert! ^sahr weiter, hier
ist keine Station mehrl"

„Ah, so wohl, lherr Vberin-
spektorl lvohin soll ich fahren?"

„Zur neuen Station!"

„lvohll lvo ist die neue
Station jetzt?"

„lserrgott, jetzt hab' ich das
auch noch vergessen! lverd' rein
noch dic Frau oder einen Dienst-
zettel initnehmen müssenl"

„Ist die Station vielleicht in
Daxenftein?"

„Ganz richtigl Natürlich Daxenstein, dort hab' ich die neue
Station errichtet! Fahr nach Daxensteinl"

Für die Stationsverlegung waren dienstliche Lrwägungen
bestimmend gewesen; in Daxenstein sind die Aufseher näher der
Grenze, es entfallen die weiten Talmärsche vor Dienstantritt
und nach der Dienstbeendigung und außerdem ist kein lvirtshaus
in unmittelbarer Nähe. Beim Anblick der neuen Grenzerkaserne
erinnerte sich der Gberzollinspektor genau dieser Lrwägungen.
Unbegreiflich, wie er hatte auf die Stationsverlegung völlig ver-
gessen können. Lintretend, fand Niedermayer jegliche Iimmer-
türe verschlossen, es ist kein INann, auch nicht der Führer, daheim,
eine Inspizierung kann daher nicht stattfinden. Unbegreiflich,
daß die ganze lNannschaft im Außendienst sein solltel Da die
Uhr auf INittag weist, wird wohl der eine oder andere Aufseher
heimkommen, den man hernach vernehmen kann. Ligentlich ein
Leichtsinn, die lsaustüre unversperrt zu lassen, oder vergeßlichkeit,
die scharf gerügt werden muß. vergeßlichkcit im Dienst, schauder-
haft. vielleicht ist aber doch obcn ein Gemach offen, in welchem
man auf die rückkehrende lNaunschaft warten kann. Dem war
so; ein Zimmer ist wirklich unverschlossen, eine Art Rumpel-
kammer, iu welcher ein Dienstbotenkoffer steht und zum Nieder-
sitzen einladet. Das tat der Beamte herzlich gerne, die alten
Knochen vertragen das lange Stehen nicht mehr. So 'nc In-
spektiousfahrt ist doch recht beschwerlich, die hohen lserren oben
haben keine Ahuung davon. Schon das kserwarten ist mißlich;
kein warmes Mittagessen, den ganzen Tag auf den Beinen und
in der mUdc machenden, scharfen Bergluft. Niedermayer erinnerte
sich trotz aller sonstigen Vergeßlichkeit, daß er der Gebieterin
ein Schnippchen geschlagen und heimlich doch ein lsalbfläschchen
lveißwein in die lNanteltasche praktiziert hat. Zwar fchlt ein
Trinkglas, man kann aber in der Not direkt aus der Flasche
trinken. Gluck gluckl lvie das wohltut und wärmt! Bald ist
das Flaschchen geleert. Aöstlich still ist es hier, das gleichmäßige
Rauschen eines nahen lvasserfalles wirkt nervenberuhigend,
wohlig.

Die alten Augen fielen zu. Lin kleines Schläfchen kann
nur gesund sein.

llnten am Sträßlein wartete Rupert lange Ieit, dann wurde
der Rutscher um seinen Lserrn besorgt, band die Pferde mit den
Iügeln an einen Baumstamm und ging suchen. Bis der treue
Anecht den Inspektor in der Rumpelkammer selig schlummernd
fand, aufweckte und in den lvagen brachte, verging fast ein
Stündchen. Niedermayer war aber nun frisch und munter, das
Insxizierungsschläfchen hat ihn wirklich erquickt. „Fahr zum
Zollamt Steinkogl!"

In weltferner alxiner Linsamkeit steht das Nebenzollamt
erster Alasse Steinkogl, in dessen Gebäulichkeiten auch die Grenz-

wachstation untergebracht ist. Der
Iollverwalter mit einem Revisions-
aufseher-Aanzleidiener versicht den
Aanzlei- und Linnehmerdienst, die
Grenzer haben, vom verwalter
unabhängig, den Außendienst längs
der Reichsgrenze zu leisten.

von diesem tatscichlich strapa-
ziösen Dienst nach lllöglichkeit ein
Stündchen abzudrücken, sind ältere
Leute gern bestrebt und geht dies
bei „reiner Luft" ziemlich leicht, so-
fern der den Turnus koutrollierende
Führer selbst auswärts und keine
Inspektion zu gewärtigen ist. Nun
ist heute, weil kurz nach demlllonats-
ersten, zwar der Gberinspektor

Der Gesang.
 
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