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Lothar Meggendorfers humoristische Blätter — 4.1891 (Nr. 1-13)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20269#0069
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66

L. Neggendorfers Humoristischc Blätter.

Dornröschen.

— am meisten litt aber augenscheinlich das Prinzeßchen,
es weinte zum Ateinerweichen — — ein Lcweis
wie seinsühlig sür gewisse Tinge ein weibliches 8>e-
müt schon im zartesten Alter zu sein pslegl. Aoch

licher Weise, aber mit dem Anscheine des tiessten
)1titgesühls, was sich damals bei ihrcr Caufe ereignet
hatte — daß die böse Base ihr prophezeit habe, sie
werde einmal nur ihres Eeldes wegen gefreit werden.

ein höhnischer Rundknix, wobei ihr Ridikül gleich
einer geschwungenen Reule einen drohcnden Rreis
um die böse Rase beschrieb, als wolle sie zum Achlusse
noch Iedem cins versetzen — und verschwunden
war sie. —

Iahre giengen hin. Richts von der Achlechtig-
keit der welt ahnend — die elterliche Kürsorge räumte
anch das kleinste Iteinchen aus der Iungfran A)egc
— wuchs das Prinzeßchen heran, wurde lieblich an-
zusehen, lernte allerlei, was es voraussichtlich nie
verwertcn konnte, und schließlich sanden sich Hreier
in großer Anzahl ein, um bei ihr ihr Glück zu ver-
suchen. Ls kamen Erasen und Rarone, es kamen
Ritter des Achwertes, des Eeistes und der Industrie,
und schön Röschen sreute sich ob all der Huldignngen,
denn sie dachte in ihrer Arglosigkeit, daß dieselben
nnr ihrer Ichönheit, Anmut und Rildung gelten
könnten, aber ihr Iawort gab sie noch keinem.

Ca ereignete es sich, gerade an ihrem neunzehnten
Sebnrtstage, daß sie, das Haus dnrchwandelnd, vor
eine Chüre kam, die zu einem Kemache führte, das
sie noch nie betreten hatte, und die Neugierde zwang
sie zu ösfnen und einzutreten.

Ca saß vor eineni Tische, auf dcm auszubessernde
Wäsche in Nenge lag, ein steinalt Weiblein und
stichelte sleißig daranf los. Ichön Röschen bot ihr
guten Cag und bald ersuhr sie, daß sie die Hlick-
schneiderin vor sich habe — merkte aber nicht, daß
es eine bitterbösc alte Hrau war. Cie wußte nun
das Kespräche so zu wenden und zn drehen, daß es
gar bald auf's Heiraten kam und als sie es so weit
hatte, erzählte sie schön Röschen in boshaft behag-

Röschen aber ging daranfhin in ihr Kemach und
weinte bitterlich, das alte Weib hatte sie gewaltsam
aus ihrem schönen Rlahne gerissen, die Welt, die
schöne Rlelt, der sie ihr unverdorbenes tzerz so rück-
haltlos entgegengebracht, war schlecht! Alelch' trost-

lose Lntdeckung und wie das schmerzte-der

Ipindelstich des Märchens!
 
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