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Meier-Graefe, Julius
Manet und sein Kreis: mit 2 Photogravüren u. sieben Vollbildern in Tonätzung — Berlin, 1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.25425#0013
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2 JULIUS MEIER-GRAEFE

Leidenschaft etwas müde geworden, wir haben
nur noch kühle Hochachtung vor Viktor Hugo
und ziehen den Komplikationen der Richard
Wagner-Schule die Einfachheit Bachs, die reine
Lyrik Mozarts und die Tiefe Beethovens vor.
Der Wunsch nach Sachlichkeit hat sich auch
unserer ästhetischen Begierden bemächtigt, wir
wünschen die Kunst möglichst rein und kon-
zentriert und wollen den Apparat, der sie ver-
mittelt, lieber so unbeholfen wie Librettos ita-
lienischer Opern, weil er uns schneller zu dem
Inhalt des Rahmens gelangen-lässt. Diese Scheu
vor der von leichtem Wein berauschten Roman-
tik ist der Anerkennung- Delacroix gefährlich
geworden, es fehlt in unseren Tagen nicht an
skeptischen Leuten, die sich gegen, die Ver-
ehrung, die Frankreich ihm zollt, aüflehnen und
in ihm einen besseren Vorgänger von Delaroche
od. dergl. sehen oder ihn allenfalls mit Böcklin
vergleichen.

Nichtsdestoweniger verdanken wir ihm, von
den grossen Engländern abgesehen, im Keime
ungefähr alles, auf das unsere heutige Malerei
stolz ist. Er ist ihr guter und ihr böser Geist. Die
Malerei brauchte den Schwung, den er ihr gab, um
in das nächste Jahrhundert herüber zu gelangen,
und schon er hat ihr die Tragik in die Wiege ge-
legt, mit der sie heute um ihre Existenz ringt.

Auch sein Schicksal ist das aller Nachfolger
geworden. Das Publikum war bei Manets „Früh-
 
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