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Delacroix, Eugène; Meier-Graefe, Julius [Transl.]
Literarische Werke — Leipzig, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.27193#0033
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dein. Der Niedere handelt genau wie alle und wird mit
niemandem fertig. Dem Höheren ift leicht gedient,
aber er wird fchwer befriedigt; der Niedere fordert
fchweren Dienft und ift mit Billigem zufrieden.“ Auch
diefe Worte des Konfuzius ftehen im Journal.

Langfam wandeln fich vor unferem Auge die menfch-
lichen Eigenfchaften des Tagebuchfehreibers in die
Qualitäten feiner Werke. Wir begreifen, wenn wir den
Menfchen in allen Fragen das Exzentrifche wie der
Sünde fchlimmfte meiden fehen, jene wunderbare, allem
Banalen entrückte Gelaflenheit, die feine kühnften Phan-
tafien feftigt, das fich nie widerfprechende Gefühl, das
jeden Pinfelftrich belebt, und bewundern vielleicht noch
mehr als die Fülle von Erregung, die das Löwenherz
entfachte, die kühle Weisheit, die he bändigte. Sicher,
man bedurfte, als der Maler mit gewaltiger Fauft feine
Schöpfungen in die Welt fchleuderte, nicht des ftillen
Literaten, um fie zu würdigen. Und wir, die in diefen
Bildern die Elemente aller Malerei, der alten wie der
modernen, erkennen, die ein Blick auf die juwelen-
gleichen Flächen zittern macht, bedürfen feiner noch
weniger. Aber der Literat bringt uns eine willkommene
Beftätigung. Wie uns bei einem geliebten Dichter, delTen
Reime uns beraufchen, delTen Gedanken wir in dem
blinkenden Strom der Verfe wie leuchtende Bilder ge-
nießen, die Einficht in fein Leben, in dem wir, ver-
fteckt unter ganz neuen, zuweilen widerfpruchsvollen
Formen, denfelben Stolz, diefelbe Schönheit, diefelbe
Unnahbarkeit finden, mit noch größerer Gläubigkeit
zu feinen Werken zurückkehren läßt, fo beftätigt der
Literat Delacroix den nur zu ahnenden Umfang des
Malers und treibt uns aufs neue zu dem paradiefifchen
Eiland in der zerrifienen Kunft des neunzehnten Jahr-
hunderts zurück. Die Literatur Delacroix’ ift das Tage-

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