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Schönen ? Die Schulen haben die Rezepte, aber fchaffen
keine Werke, vor denen man ausruft: Wie fchön!

Rubens hat das Schöne getroffen, als er feine Apoftel
des wunderbaren Fifchzugs malte, den heiligen Petrus
mit den groben Händen, dem Chriftus fagt: „Laß deine
Netze und folge mir, ich will dich zum Menfchenfifcher
machen.“ Ich bezweifle, daß er das zu wohlfrifierten
Schülern gefagt hat. Ohne die wundervolle Kompofition
des Bildes von Raffael, die mit weifer Verteilung Chriftus
ganz allein auf eine Seite bringt und die Apoftel zu-
fammen mit dem kniend den Schlüffel empfangenden
Petrus ihm gegenüber anordnet, ohne diefe feinem Ge-
nius eigentümliche wunderbare Wirkung wäre Raffael
nur hübfch und hätte nicht das Schöne erreicht. Rubens
dagegen hat gebrochene, wirre Linien. Seine Gewänder,
die der Zufall beftimmt, find ohne Anmut, und fie
entftellen eher feine großartigen, einfachen Geftalten.
In der Schöpfung diefer charaktervollen Geftalten aber
ilt er fchöner.

Wie kalt find die Vorgänge in der Verfammlung der
Gelehrten und Heiligen in der Disputa Raffaels! Die
Geftalten zeigen jede eine andere Pofe von verführe-
rifchen Linien, aber es kommt zwifchen ihnen zu keiner
lebendigen Verbindung. Ganz anders das Abendmahl
eines Veronefe. Da fehe ich Menfchen wie mich, von
verfchiedener Geftalt, verfchiedener Anlage, mitein-
ander plaudern und Gedanken austaufchen; der Hitz-
kopf neben dem Zornigen, die Kokette neben der Gleich-
gültigen oder Zerftreuten; ich fehe Leben, Leiden-
fchaften. Es ift keine leichte Aufgabe, das alles in eine
ruhige, faft bewegungslofe Szene hineinzubringen.

Ift das Schöne in beiden Werken? Ja, in gleicher
Stärke, aber auf verfchiedene Art. Der Stil ift gleich
mächtig in dem einen wie dem anderen, denn er be-

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