Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Glaubt man, die leidenfchaftliche Bewunderung
Davids vor der Kreuzigung des Rubens und im allge-
meinen vor den unbändigften Bildern des Flämen habe
auf der Erkenntnis der Ähnlichkeit diefer Werke mit
der Antike beruht?

Was macht den Reiz flämifcher Landfehafter? Was
haben die kräftigen, bewegten Bilder des Engländers
Conftable, des großen Vaters der modernen Landfchaft,
mit den Landfchaften Pouffins gemein? Und verlieren
nicht die Bilder Claude Lorrains ein wenig durch eine
gewifle Betonung des Stils in manchen konventionellen
Bäumen feiner Vordergründe?

Man weiß, was Diderot zu dem Maler fagte, der
ihm ein Bildnis feines Vaters brachte, das den alten
Diderot, ftatt einfach im Arbeitsrock (es war ein Mefler-
fchmied), in feinen fchönften Gewändern darftellte: „Du
haft meinen Sonntagsvater gemacht, ich wollte meinen
Vater von allen Tagen.“ Der Maler des alten Diderot
hatte es wie faft alle Maler gemacht, die fich einbilden,
die Natur irre fich, wenn fie die Menfchen fchafft wie
fie find. Sie fchminken, verfonntagen die Geflehter. Es
find nicht nur keine Menfchen von allen Tagen, es
find überhaupt keine Menfchen. Es fleckt nichts unter
den gekringelten Perücken, unter ihren fauberen Ge-
wändern. Es find Masken ohne Geht und Körper.

Wenn wirklich der Stil der Antike die Grenzen feft-
fetzt, wenn das Ziel der Kunft nur auf der abfoluten
Regelmäßigkeit beruht, wohin fiellt ihr dann Michel-
angelo mit feinen gewagten Vorwürfen, feinen gequälten
Formen, den übertriebenen, oft ganz falfchen oder nur
fehr oberflächlich der Natur angepaßten Verhältniflen?
Ihr werdet ihn den Erhabenen nennen müflen, um
ihm nicht die Schönheit zu laflen.

Michelangelo hat die antiken Statuen fo gut gefehen

252
 
Annotationen