Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Meier-Graefe, Julius
Paul Cézanne: mit 54 Abb — Muenchen, 1913

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.29658#0054
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Was Cezanne von alten Meistern zugänglich war, hat er mit
der Energie seiner ganzen Generation studiert. Anscheinend hat
er sich für die Brüder Le Nain interessiert. Vollard besitzt oder
besaß einen Esel in Grisaille, vom Jahre 58, der allenfalls diesem
Einfluß zugeschrieben werden kann. Aus derselben Zeit existieren
kleine Genrebilder in der Art der holländischen Kleinmeister, ohne
Interesse. Charakteristischer ist die „Femme au perroquet“ des
Jahres 59, in derben, entfernt an Franz Hals erinnernden Strichen.
Diese ersten Jahre arbeitete er ohne Lehrer, während er in Aix
vier Semester die Rechte studierte und dann kurze Zeit im Bank-
haus seines Vaters tätig war. Der erlaubte ihm 1862 endlich, die
aussichtslose bürgerliche Laufbahn aufzugeben. Cezanne kam nach
Paris und trat in die „Academie Suisse“ ein, wo Pissarro und
Guillaumin seine Kameraden wurden. Das Zusammentreffen sollte
dem Landschafter Cezanne später vorteilhaft werden. Für den
Moment blieb es für ihn ohne Folgen, da sich seine Absichten
keineswegs mit denen Pissarros deckten — Guillaumin hatte damals
noch keine Physiognomie. Seine eigentliche Entwicklung begann,
als er sich Delacroix näherte. Das war Mitte der sechziger Jahre.

Cezanne rekapitulierte die Geschichte des Meisters der Medea.
Er begann mit romantischen Bildern. Auf der Vente Zola im
Frühjahr 1903 erschienen mitten unter dem bourgeoisen Mobiliar
des nicht sehr wählerischen Dichters ein paar Bilder seines Jugend-
freundes und darunter ein 1865 datiertes: L’Enlevement. Es
ist die Dantebarke Cezannes. Freilich ohne den Reiz des Erstlings-
werkes Delacroix’. Man konnte schon an diesem daumierhaften
Herkules, der ein nacktes Weib davonträgt, erkennen, daß sein
Autor alles andere als ein Komponist sein würde. Er hatte nicht
die holde Gabe Delacroix’, ein Bild zweimal zu erfinden, eine
gewaltig zu unserer dichterischen Empfindung sprechende Geste
in sublime Farbenrhythmen aufzulösen. Dem beginnenden Cezanne
fehlte alles, die Geste wie die Palette. Doch meldete sich schon
damals in groben Brocken der Erbauer einer neuen Form, im
Dejeuner sur l’herbe, einer wahren Karikatur auf Manets zwei
Jahre vorher entstandenes Gemälde gleichen Titels, gewann der
Pinsel lediglich aus Licht- und Schattenteilen Kontraste von un-
widerstehlicher Suggestion. Eine Stirn, das Stück eines empor-
gehobenen Armes, der Fleck des Tuches auf dem Rasen \yaren

50
 
Annotationen