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Meier-Graefe, Julius
Paul Cézanne: mit 54 Abb — Muenchen, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.29658#0055
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wie im Blitzlicht erfaßt, und die Übertreibung ergänzte das ganz
Fragmentarische des Restes. Eine ähnliche, hier (S. 19) abgebildete
Idylle, etwa aus 1870, zeigt bereits den echten Cezanne. Die Haupt-
flächen der Menschen und der Landschaft sind wie von einem
zitternden Wasser gespiegelt und bilden ein phantastisches Teppich-
muster. Die Anordnung der Figuren ist so verwegen wie möglich.
Aber in dieser brutalen Dekoration verstecken sich blendende
Details. Man sah noch nie eine Fleischmalerei ähnlicher Wahrheit,
die gleichzeitig das Prangende des Nackten der Venezianer und
dazu das Unbeständige der bewegten Fleischflächen verrät, die
von den Tönen der Umgebung und den eigenen Schatten um-
stritten werden. Das Aufsaugen des Hellen durch das Dunkle
läßt dem Auge keinen festen Ruhepunkt, und doch gewinnt der
Blick den Eindruck von Massen. Die Palette ist noch unsauber.
Ebenso energisch wie Manet hat Cezanne in den sechziger Jahren
dem Schwarz gehuldigt. Die ersten Stilleben wirken wie Schwarz-
Weiß-Bilder und verdanken dieser von mächtigen Pinselstrichen
getragenen primitiven Harmonie die Größe. Manets Befreiung
von Courbets Dunkelheit wurde auch Cezanne zum Beispiel, doch
diente ihm der Impuls nur, um sich Delacroix aufs neue zu nähern.
Seine Biographen, auch Duret in seiner Geschichte der Impres-
sionisten,*) stellen den Einfluß Delacroix’ auf Cezanne wie einen
Zufall und vorübergehend dar, und meinen, er sei viel mehr
Courbet schuldig. Mir scheint das von Courbet Übernommene
ganz äußerlich und unwesentlich, dagegen ist außer Renoir keiner
der Modernen Delacroix treuer geblieben. Vielleicht hat er noch
intensiver als Renoir das eigentlichste Wesen des großen Romantikers
erfaßt. Die anderen alle, am meisten Manet, gelangten im wesent-
lichen durch Analyse zu ihrer Form und ließen sich dabei Delacroix’
Farbentheorien dienen. Keiner erreichte das Geheimnis seiner
Vision, den unteilbaren, scheinbar willkürlichen Zusammenfluß der
Farbe, der Delacroix’ Bildern das Juwelenhafte gibt. Manet baute
mit Pinselstrichen. Seitdem Monet auf dieselbe Methode ver-
zichtet, haben seine Bilder das Beste verloren. So verfahren alle
anderen Impressionisten, sie erfinden für einen Eindruck der
Natur das Mittel. Anders Cezanne. Baudelaire schrieb von

*) Histoire des Peintres Impressionistes (H. Fioury, Paris 1906). Deutsch
bei Bruno Cassirer.

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