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Meier-Graefe, Julius [Editor]; Renoir, Auguste [Ill.]
Auguste Renoir — München, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.27183#0038
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Kreislauf diese drei fürstlichen Abkömmlinge einer Familie.
Delacroix ordnete die Verschwendung des Flamen, und jetzt
erscheint Renoir als Ordner Delacroix’ und kommt dabei dem
Stammherrn der Familie näher. Was in dieser Entwicklung wirklich
fortschreitet, ist ein rein geistiger Wert. Nicht die Technik, nicht
die Farbe. Das sind nur Formen für die Sache, Folgen, keine
Gründe, und man würde sich lächerlich machen, wollte man einen
Renoir besser gemalt als einen Delacroix oder Rubens finden.
Was sich verschoben hat, ist die subjektive Sinnlichkeit. Ein
höherer Begriff des Sinnlichen geht aus der Medea im Vergleich
zur lachenden Schönheit einer Helene Fourment hervor; ein
anderer — ob höherer Begriff, können wir nicht entscheiden —
aus den reichsten Werken des Modernen. Bis Renoir dahin
gelangte, brauchte er viele Jahre. Nichts ist törichter, als zu ver-
muten, daß die Ausbildung der Palette ihn diese Zeit kostete.
Es handelte sich um eine Steigerung der Abstraktion wie in der
Entwicklung aller großen Künstler.

Jeder Vergleich der Bilder aus verschiedenen Zeiten ergibt
einen Grad dieser Steigerung. Man kann nicht zögern, dem
bereits erwähnten Frühwerk der Berliner Nationalgalerie*), dem
jungen Mädchen vor grünem Blattwerk, jede der vielen Studien
in ähnlicher Pose der Siebziger Jahre vorzuziehen, weil das, was
von Renoirscher Kunst in dem frühen Bilde steckt, in den späteren
vervielfacht erscheint. Das Fleisch der Berliner „Lise“ wirkt noch
wie eine neutrale Masse, in einem kalten kittgrauen Ton, der nur
mit dem rosagrau gestreiften Rock und dem Haar, viel weniger
mit dem tonreichen, durchleuchteten Grün des Hintergrundes zu-
sammengeht. Die strukturlose Malerei der Figur stimmt noch
weniger mit den energischen Pinselstrichen des Laubwerks überein.
Nur die übertriebene Modellierung verhilft der Erscheinung zur
Wirkung. Dem Künstler gelingt noch nicht die restlose Über-
tragung der Natur in die Harmonie seiner Anschauung. Auffallend
ist der Unterschied des Wertes zwischen diesem Bilde und ähn-
lichen und der vorhergehenden Hagener „Lise“. Ich glaube, er
ist mit dem überaus günstigen Motiv des Hagener Bildes zu er-
klären. Jeder große Künstler wird auch in den ersten Stadien

*) „Im Sommer.“ Früher in der Sammlung- Depeaux, Paris. Das Bild
figurierte im Salon von 1869 unter dem Titel „En ete“.

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