Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Meier-Graefe, Julius; Gogh, Vincent ¬van¬ [Hrsg.]; Meier-Graefe, Julius [Bearb.]
Vincent (Band 1) — München, 1922

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.29620#0171
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
33rüberfcfjaft bes Rubens

von jetzt an nie mehr zu streiten. Gewiß, man muß reden, dafür war
man zusammen, und nach der Arbeit war manchmal so ein Fluidum
zwischen ihnen, das zur Rede zwang. Wenn Gauguin dann ausbog — er
behalf sich nach einer Widerrede auf eine unmögliche Behauptung gern
mit einem Achselzucken und ließ den anderen reden — war es auch
nicht recht. Es fiel Menschen, die einer Sache auf den Grund wollten,
immer schwer, sich zu verständigen. Wer redete heute selbst mit dem
leiblichen Bruder dieselbe Sprache ? Alle Panoramen waren viel zu plump.
Schon so ein dummer Stuhl warf sie um. Also mußte man andere Verstän-
digungsmittel suchen. — Gauguin schlug eine Fahrt nach Montpellier vor.
Dort im Museum hingen solche Mittel an den Wänden. Es gab den Saal
Bruyas mit den Courbets und Delacroix’. Für einen Franc fuhr man hin.
Wider Erwarten wurde es ein guter Tag. Es war schon Dezember, aber
man hatte Sonne und blauen Himmel. Gauguin kannte die Sammlung
von früher her und führte, und Vincent war es, als sei Gauguin ein Ver-
wandter des generösen Herrn Bruyas, und man habe ihm für den Genuß
zu danken. Dies war ein Genuß. Seit fast einem Jahr war er in keiner
Sammlung gewesen. Das Auge schien inzwischen geruht zu haben, so leb-
haft faßte es die Dinge. Es traf sich gut, daß die Sammlung reich an
Bildnissen war, weil ihm gerade jetzt das Bildnis als besonders geeignete
Domäne vorschwebte. Und die Courbets, mochte Gauguin sagen, was er
wollte, standen wie Erzbilder da. Übrigens ließ Gauguin das Bruyas-Bildnis
gelten, wenn er auch das Porträt von Delacroix vorzog. Darin trafen sie
sich. Freilich überragte Delacroix turmhoch alle anderen, wäre es auch
nur mit dem Anstand. — Eben der Anstand! Wie klein kam man sich vor!
Ein Fürst! Es war ein Inkognito in Delacroix’ Bildnissen. Er malte sie
anders als seine übrigen Werke, wie man sich anders in einer großen Ge-
sellschaft als in einer kleineren gibt. Darin trafen sie sich. Wer diese Zu-
rückhaltung vermöchte! Diese Milderung des Tempos bei vollendetem

167
 
Annotationen