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Im Beginn malt Courbet mit weichftem Pinfel.„L’homme blesse“des Louvre und die „Amants
heureux“,aus 1844/45, der „Homme ä la pipe“ des Mufeums von Montpellier und viele andere
Frühwerke find von zarteftem Auftrag. Man denkt an van Dyck, den er um diefe Zeit kopierte,
und an gewiße, dem Rubens naheftehende Delacroix. Unzweifelhaft gab ihm der große Romantiker
in der erften Zeit, wie die Kopie derDantebarke bezeugt. Auch in manchen Landfchaften findet
man denfelben Einfluß. Delacroix’„Park von Nohant“ der ehemaligen Sammlung Cheramy,der
1842 oder 1843 gemalt wurde,gleicht ganz auffallend der CourbetfchenWaldlandfchaft derfelben
Sammlung in der flachen Art, wie das Blätterwerk behandelt ift. Übrigens hat Delacroix in ein-
zelnen, feltenenWerkenoderF ragmenten auch denfogenanntenRealismus Courbets gerechtfertigt.
Bilder wie das merkwürdige Geficht der alten „Religieuse“, etwa aus dem Jahre 1843, wie die
„Katze“ oder wie das Blumenftück — alle früher bei Cheramy— oder wie der„Atelierwinkel“,
früher bei Henri Rouart, und andere Interieur-Skizzen und Stilleben find von fchärferer Sachlich-
keit, faft könnte man fagen Genauigkeit,als die entfprechenden Courbets der Frühzeit.
Diefe weiche Malerei zieht fich in den folgenden Jahren allmählich zufammen,und dabei hilft ihm
der Meiller, der von allen Zeitgenoflen offenbar den ftärkften Einfluß auf ihn ausübte: Gericault.
Das Porträt Gericaults in dem Saal der Bildnifle des Louvre, das fein Selbftporträt fein foll, und der
„Homme ä la ceinture de cuir“, im oberen Stockwerk, das belle Frühporträt Courbets, aus dem
Jahre 1849, find nahe Verwandte. Es ifl diefelbe Generofität in der Auffaflung, nicht nur in der
Pofe; eineNobleflein dem, was gezeigt wird und wie es gezeigt wird,in der man ein Selbftporträt
des Künftlers erkennt, auch wenn der Dargeftellte eine andere Perfon wäre. Alles was über die
Roheit und Dummheit Courbets gefchrieben wurde, wird vor diefem Bilde zunichte. Damals
jedenfalls, zur Zeit jenes glorreichen Selbftporträts,war er, was jeder Künftler in feiner Kunft fein
muß, ein Edelmann. Das Bildnis Gericaults ift noch fubjektiver als das Courbets. Der weiße
wolkige Hintergrund gibt mit dem fahlen Ton der Geftalt einen ganz einfachen, mächtigen Akkord;
auch das Format ift günftiger, die Breite tut wohl. Dem Courbet verleihen die meifterhaft model-
lierten Hände eine größere Elaftizität. Aber auch hier wird die größere Präzifion von dem wunder-
vollen dunklen Gefamtton gebändigt. Noch in fpäten Porträts, wie dem fchwarzen Rochefort,
bringt diefelbe dunkle weiche Modellierung faft ohne Palette die tiefdringende Wirkung hervor.
Noch deutlicher ift die Beziehung zu dem bekannteren Gebiet Gericaults, zum Schöpfer des pracht-
vollen „Carabiniers“ des Louvre ufw., Bildern, in denen der Pinfel in gewaltigen Zügen malt und
nicht mehr des verhüllenden Tones bedarf, um Harmonien zu fchaffen. Sie begleitet den fpäteren
Courbet. Vorher müften wir der mittleren Periode des Künftlers gedenken, vielleicht nicht der
merkwürdigften, aber der reichften, in der die Werke entftanden, mit denen fein Name für alle
Zeiten in die Gefchichte gefchrieben wurde.
Die Bilder des Jahres 1850 mögen wie ein Kanonenfchuß gewirkt haben. Sie find heute noch von
ganz verblüffenderWirkung. In dem Durchgangsfaal des Louvre, in dem bis vor kurzem das „En-
terrement“ verkümmerte, drückte man fich an der gegenüberliegenden Wand platt, um das Maxi-
mum von Abftand zu gewinnen. Abftand nicht nur von dem Riefenformat mit den fünfzig lebens-
großen Figuren, von der riefigen Landfchaft, deren graue Felfenlinie den Hintergrund wie ein
natürlicher Zirkus abfchließt, vielmehr Abftand von der Gewalt des Ausdrucks. Es ift eher eine
Auferftehung als ein Begräbnis. Und das gilt in vielerlei Sinn. Einmal kommt hier zum erftenmal

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