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führt. Als Decamps in jungen Jahren die „Defaite des Cimbres“, eins der glorreichften Zeugnifle
der franzöfifchen Kunft im Louvre, malte, ließ er die Menfchenherden aus dem Boden wachfen
und erzielte damit die Maflenwirkung. Faft brauchte man die Herden gar nicht zu fehen, um den-
felben Eindruck des belebten Gefildes zu haben, fo dramatifch ift die Fläche geftaltet. So dachte
Courbet, und darin beftärkte ihn noch ein anderer großer Franzofe, der vielleicht eine Brücke
zwifchen Courbet und Delacroix war: Gericault. Auch Gericaults Spuren fanden wir fchon im
Anfang. Es fchien ein mehr zufälliges Zufammentreffen, wenn auch feftfteht, daß der junge Courbet
den andern kopiert hat. Aber gerade in der reichften Zeit tritt uns der Maler des „Medufenfloßes“
deutlich vor Augen, nicht fo fehr in beftimmten Bildern—wenn fchon manche feltene Landfchaften
Gericaults den Vergleich herauszufordern fcheinen —, vielmehr in der ganzen Anfchauung und in
der Art des Temperaments. Diefelbe Dramatik, die Gericault ohne äußerliche Handlung einer
Phyfiognomie, einem Pferd, einem Terrain, und fei es auch noch fo flach, zu geben wußte, die
Dramatik in derWucht derWiedergabe, die im Nerv der Hand liegt, war auch Courbet gegeben.
Nicht fo verlockend wie dem Vorgänger, der in jedem Bild die Generofität eines meteorähnlichen
Dafeins ahnen läßt; auch nicht fo reizvoll im Kolorit. Courbet blieb immer von altmodifcher Palette.
Auch fehlt ihm des jungen Giganten Hellenentum, und der proletarifche Pseudo-Sozialift hatte
nichts von der Noblefie des Kavalier-Malers. Dafür blieb er gegen dieVerführungen des Akademi-
fchen gefeit, die den gegen die Öffentlichkeit nicht unempfindlichen Gericault zuweilen zurück-
hielten. Die Art und die Kraft des Inftinktes ift beiden gemeinfam. Beide wußten, wo das Geheim-
nis größterWirkung liegt. Die Eroberungsluft, die aus Gericaults Reiterbildern hervorbricht, be-
wegt auch die ungeftümeren Mafien Courbets, und in der Befruchtung, die diefer Schwung den
Zeitgenoflen oder Nachkommen mitgab, reichen fie fich die Hände. Gericault geleitet Courbet
zu feiner letzten Phafe, die man die feiner reinen Vernunft nennen könnte, eine kurze, aber unver-
gängliche Spanne. Sie gab ihm den ihm eigenften Ruhm. So vielen Einflüfl'en er vorher mit vollem
Bewußtfein, nach feinem eigenen fchönen Eingeftändnis, nachgab, zuletzt finden wir ihn auf ein-
famer Höhe. Es ift die Zeit des fpäteften Louvrebilds, der „Woge“. Sie ift wiederum durchaus
nicht genau zu begrenzen. Es gibt eine Menge gleichzeitiger Bilder, Porträts namentlich, die keiner-
lei Beziehung zu ihr verraten und ebenfogut zehn Jahre vorher gemacht fein könnten.
Um die Mitte der fechziger Jahre beginnen dieMarinen vonTrouville. Sie findLegionen. Caftagnary
behauptet, daß Courbet täglich einein ein paar Stunden malte; im Sommer 1865 follen allein deren
vierzig entftanden fein. Es waren zuerft ruhige Planfchilderungen von glänzender Einteilung, in
denen die Perfpektive nur durch dieTönungen des Waflers unter den verfchieden auffallenden Licht-
ftrahlen belebt wird. Sein berühmtes Wort „Le paysage est une affaire de tons“ gilt nirgends
mit foviel Recht wie von feinen Seebildern. Seebildnifle könnte man fagen. Er malte fie anfangs
faft mit Zärtlichkeit, fo behutfam ging er der blauen Fläche nach, die ihren Schein in den Himmel
wirft und von dort wieder reflektiert wird. Jedes der folgenden Jahre kam er wieder und mit
jedem Jahr näherte er fich mehr dem Element. Er wurde hier zumDichter. Die„F emme ä la vague“,
einft in der Sammlung Faure, 1868 gemalt, für Courbet vielleicht nur die Studie eines nackten
Oberkörpers imWafler, wurde ein gewaltiges Symbol. Noch einmal legte er hier alle Kraft in die
Plaftik eines Fauenleibes, modellierte die Bruft, die über den Kopf verflochtenen Arme mit größter
Meifterfchaft und erhielt trotz der fachlichen Darftellung des Körpers fo vollkommen den Rhythmus

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