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Meier-Graefe, Julius; Courbet, Gustave [Ill.]
Courbet — Muenchen: R. Piper & Co. Verlag, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.49992#0050
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des Meeres, daß man In der Frau eine Perfonifizierung der Wellen vor fich zu haben glaubt.
Aber nichts kommt der Macht des Ausdrucks gleich, mit der er um diefe Zeit das Element felbft
ohne alles Beiwerk darftellt. Er faßt den Ausfchnitt des Meeres immer enger,macht es hier gerade
fo wie mit vielen gleichzeitigen Landfchaften, wo er — man denke an die Grottenbilder — den
Felfen oder die Erde dem Befchauer ganz nahe rückt und einen Einblick in das Innerfte der Materie
öffnet. Bei demMeer kommt dieBewegung hinzu.Er war ein noch leidenfchaftlichererSchwimmer
als Jäger. Man fühlt es in den letzten Marinen: fie find von der Liebe zumWafler gemalt, vom
Meere,nicht vom Lande aus gefehen; dieWellen, wie fie dem mit ihnen Ringenden erfcheinen.
Er ftellte in großem Format mit einem verhältnismäßigen Minimum von gefehenem Raum das
Maximum von Kraft dar; Querfchnitte durch das ganze tobende Kräftechaos der Flut.
Die„Vague“des Louvre von 1870 ift ein Höhepunkt diefer Zeit. Nicht der einzige. Es gibt über
ein Dutzend Varianten; mehrere find in deutfchem Befitz, auch in deutfchen Galerien, eine der
größten und beften in der Berliner Nationalgalerie. In der Louvre-Fällung ift das Verhältnis des
Waflers zu dem blaugrauen Himmel außerordentlich fchön, dagegen ftört neben dem gewaltig bran-
denden Meer das gar zu Gegenständliche der Kähne am Ufer und das Ufer felbft. Sein alter Fehler,
den Delacroix rügte, ift felbft jetzt noch nicht überwunden; man ift beinahe geneigt, auch darin
ein Zeichen feinerUnverwüftlichkeit zu fehen.Es ift derfelbeFehler,der die glänzenden Grotten-
bilder um eine Nuance trübt. Auf einem von ihnen fitzt ein Menfch in der Höhlung, auf einem andern
fieht man ein paar Rehe. Die Verhältnifle diefes Beiwerks zu dem Reft find ganz verfehlt. Nicht
nur die Größenverhältnifle, vor allem die des Materials. Das Geftein ift empfunden, in eine neue
wunderbare Materie übertragen,nicht das Detail ift gegeben, fo nahe man davor zu ftehen meint;
die Gewalt diefer tragenden und getragenen, zufammengewachfenen, aufeinandergefchweißten
Mafien ift gemalt. Die Staffage wirkt daneben wie Spielerei. Merkwürdigerweife kann man fich
gar nicht vorftellen,wie fie gemalt fein müßte. Die Gewalt diefer Mafien läßt dem Gedanken an
lebendeWefen keinen Platz. In der Berliner Fällung der„Woge“ift das Ufer auf ein winziges
Stück der linken Seite befchränkt. In anderen fieht man nur das Meer und den Himmel. Das find
die fchönften. Nie ift ihm gelungen, feine braufendenWogen glaubhaft mit Schiffen zu bevölkern.
Das Menfchliche wirkt hier wie Willkür.
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Diefe Entwicklung entfernt Courbet endgültig von den Spaniern und nähert ihn bis zum gewiflen
Grade denHolländern,zu denen er immer fchon regeBeziehungen unterhielt.Wirhaben diefe bisher
nur angedeutet, um dieDarftellung nicht zu fehr zu belaften und um den Spaniern ihr entfcheidendes
Patenrecht zu lallen. Holland tritt in Aktion, fobald Courbet den Kreis der Frühwerke verläßt.
Es liefert ihm die legitimen Hilfen feines Realismus. Im Anfang erinnert Courbet weniger an die
großen Tonmaler Hollands, als an die Meifter, denen vor allem an der Form gelegen war. Sein
autobiographifcher Hinweis auf Craesbeeck und Oftade entfprang offenbar einer Laune. Courbet
lieht zu hoch über beiden, als daß der Vergleich mehr als äußerliche Momente ergeben könnte.
Dagegen erinnert er eine Zeitlang an Potter, und zwar an den „harten“ Potter, der den jungen Stier
im Mauritshuis malte. Die Schwäche diefes Hauptwerks, die Ubermodellierung und der Mangel
an Luft,ift auch oft die Schwäche Courbets. Aber auch dieVorzüge find diefelben; die Sachlichkeit,

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