die rückfichtslofe Erfchöpfung des Themas im vorgenommenen Sinne. Die prachtvolle Figur des
Mannes am Baum glaubt man in vielen Bildern des Franzofen wiederzufinden. Der Realismus
Courbets fteht um merkbare Nuancen höher. Potter geht fb weit, die Stirnhaare der liegenden
Kuh im Relief nachzubilden. Die Striche des Pinfels fuchen plaftifch die Haarlagerungen zu formen
und wirken wie aufgeklebtes Fell. Zu folchen Spielereien hat fich Courbet nie verftiegen.Von den
Interieurmalern zog ihn vermutlich weniger Craesbeeck als Aertfenan,und zwar der Aertfen ohne
braune Sauce, der die Köchin in der weißen Schürze und dem roten Rock der Brüfteler Galerie
mehr emaillierte als malte. Hals fanden wir fchon am Anfang. Courbet blieb ihm fein ganzes Leben
treu. Noch in den Stilleben der fiebziger Jahre lebt die Farbenluft der Haarlemer Schützenftücke.
In der Blütezeit tritt der größte Holländer mit der durchfloflenen Materie der Spätzeit in feinen
Kreis. Die Puits-Noir-Landfchaften find wie Rembrandts letzte Selbftporträts gemalt. Die Be-
ziehung zu Hals ift intimer. Courbet langt nicht in die geiftige Sphäre der „Tuchmacher“ und ftand
der Legende fern. Auch feinMenfchentum gehört zu Hals. Nach allem, was wir von dem Haarlemer
willen, muß er eine ähnliche Natur gewefen fein: ein Genie,dem es an der Oberfläche gefiel.
Beide,Hals und Rembrandt, ftudierte Courbet noch in der letzten Zeit. Im Jahre 1869,auf feiner
berühmten deutfchen Reife, die ihn wie den Meflias einer neuen Kunft erfcheinen ließ, kopierte er
die Hille Bobbe, die damals noch in der Suermondtfchen Sammlung in Aachen hing, und das an-
gezweifelte Selbftporträt Rembrandts in München. Die zweite Kopie kenne ich nicht. Die erfte
hängt in der SammlungTheo Behrens in Hamburg und rechtfertigt den Bericht ihres Autors, den
er gern zum beften gab, daß die Nachbildung einige Tage an Stelle des Originals im Rahmen blieb,
ohne daß der Befitzer denTaufch merkte. Sie erfcheint manchem Betrachter heute vielleicht noch
echter, weil frifcher als das Vorbild im Berliner Mufeum.
Wie in Corots Bildern drängt auch in der Malerei Courbets der Pinfelftrich mit den Jahren den
Ton immer mehr zurück.Von den Spaniern behält er nur Goya. Goyas Entwicklung — vielleicht
auch fein Menfchentum—war ähnlich. Auch er griff fpäter zu dem Mörfer und ftrich die Land-
fchaft mit dem Melier hin. Die großen Flächen des „Maibaums“ in der Nationalgalerie hätten
Courbet begeiftert.
Unter den unmittelbaren Vorgängern des Landfehafters ift Conftable nicht zu überfehen, und diefe
Beziehung brachte Courbet und Corot einander näher. Nur war der Eindruck des Engländers
auf fie ganz verfchiedener Art. Corot hatte den größeren Vorteil, er reinigte feine Palette. Courbets
Koloriftik blieb ganz unbeeinflußt, dagegen gewann er möglicherweife aus der Conftablefchen
Art des Farbenauftrages manche Anregung. Seine Anfchauung weicht noch weiter von der des
Engländers ab, als Corots weniger fcharf begrenzte Eigenart. DieTechnik Courbets, geradefo wie
Corots Methode, verbreiterte fich mit den Jahren immer mehr, während fich Conftable zufpitzte,
und war überhaupt nicht auf fo einfache Entwicklungsreihen geftellt. Daß er aber Conftable ge-
fehen hat, verlieht fich von felbft. Außerdem mag ihm George Michel alsVermittler gedient haben,
einer der erften Maler des Waldes von Fontainebleau, deften Vorläuferrolle leider noch nicht ge-
nügend definiert ift 28. Michel befuchte England z. Z. der größten Erfolge Conftables. Die Ähnlich-
keit vieler feiner Bilder, nicht nur des „Waldinneren“ im Louvre, fondern auch ausgedehnterer
Landfchaften mit gewiflen Courbets fpringt in die Augen. Freilich darf man fich nicht gerade an
die beften Gemälde unferes Meifters halten.
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Mannes am Baum glaubt man in vielen Bildern des Franzofen wiederzufinden. Der Realismus
Courbets fteht um merkbare Nuancen höher. Potter geht fb weit, die Stirnhaare der liegenden
Kuh im Relief nachzubilden. Die Striche des Pinfels fuchen plaftifch die Haarlagerungen zu formen
und wirken wie aufgeklebtes Fell. Zu folchen Spielereien hat fich Courbet nie verftiegen.Von den
Interieurmalern zog ihn vermutlich weniger Craesbeeck als Aertfenan,und zwar der Aertfen ohne
braune Sauce, der die Köchin in der weißen Schürze und dem roten Rock der Brüfteler Galerie
mehr emaillierte als malte. Hals fanden wir fchon am Anfang. Courbet blieb ihm fein ganzes Leben
treu. Noch in den Stilleben der fiebziger Jahre lebt die Farbenluft der Haarlemer Schützenftücke.
In der Blütezeit tritt der größte Holländer mit der durchfloflenen Materie der Spätzeit in feinen
Kreis. Die Puits-Noir-Landfchaften find wie Rembrandts letzte Selbftporträts gemalt. Die Be-
ziehung zu Hals ift intimer. Courbet langt nicht in die geiftige Sphäre der „Tuchmacher“ und ftand
der Legende fern. Auch feinMenfchentum gehört zu Hals. Nach allem, was wir von dem Haarlemer
willen, muß er eine ähnliche Natur gewefen fein: ein Genie,dem es an der Oberfläche gefiel.
Beide,Hals und Rembrandt, ftudierte Courbet noch in der letzten Zeit. Im Jahre 1869,auf feiner
berühmten deutfchen Reife, die ihn wie den Meflias einer neuen Kunft erfcheinen ließ, kopierte er
die Hille Bobbe, die damals noch in der Suermondtfchen Sammlung in Aachen hing, und das an-
gezweifelte Selbftporträt Rembrandts in München. Die zweite Kopie kenne ich nicht. Die erfte
hängt in der SammlungTheo Behrens in Hamburg und rechtfertigt den Bericht ihres Autors, den
er gern zum beften gab, daß die Nachbildung einige Tage an Stelle des Originals im Rahmen blieb,
ohne daß der Befitzer denTaufch merkte. Sie erfcheint manchem Betrachter heute vielleicht noch
echter, weil frifcher als das Vorbild im Berliner Mufeum.
Wie in Corots Bildern drängt auch in der Malerei Courbets der Pinfelftrich mit den Jahren den
Ton immer mehr zurück.Von den Spaniern behält er nur Goya. Goyas Entwicklung — vielleicht
auch fein Menfchentum—war ähnlich. Auch er griff fpäter zu dem Mörfer und ftrich die Land-
fchaft mit dem Melier hin. Die großen Flächen des „Maibaums“ in der Nationalgalerie hätten
Courbet begeiftert.
Unter den unmittelbaren Vorgängern des Landfehafters ift Conftable nicht zu überfehen, und diefe
Beziehung brachte Courbet und Corot einander näher. Nur war der Eindruck des Engländers
auf fie ganz verfchiedener Art. Corot hatte den größeren Vorteil, er reinigte feine Palette. Courbets
Koloriftik blieb ganz unbeeinflußt, dagegen gewann er möglicherweife aus der Conftablefchen
Art des Farbenauftrages manche Anregung. Seine Anfchauung weicht noch weiter von der des
Engländers ab, als Corots weniger fcharf begrenzte Eigenart. DieTechnik Courbets, geradefo wie
Corots Methode, verbreiterte fich mit den Jahren immer mehr, während fich Conftable zufpitzte,
und war überhaupt nicht auf fo einfache Entwicklungsreihen geftellt. Daß er aber Conftable ge-
fehen hat, verlieht fich von felbft. Außerdem mag ihm George Michel alsVermittler gedient haben,
einer der erften Maler des Waldes von Fontainebleau, deften Vorläuferrolle leider noch nicht ge-
nügend definiert ift 28. Michel befuchte England z. Z. der größten Erfolge Conftables. Die Ähnlich-
keit vieler feiner Bilder, nicht nur des „Waldinneren“ im Louvre, fondern auch ausgedehnterer
Landfchaften mit gewiflen Courbets fpringt in die Augen. Freilich darf man fich nicht gerade an
die beften Gemälde unferes Meifters halten.
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