Meier-Graefe, Julius: Die weisse Strasse (Berlin, 1930)

Mir wurde klar, daß ich in eine unbekannte Un-
endlichkeit hineinfuhr.

Merkwürdigerweise aber stimmte die Zahl der Ge-
fangenen in den Listen. 485 hatte er abgezählt
und quittiert, 485 waren verzeichnet. Folglich
mußte ein anderer an meiner Stelle zurückgeblieben
sein. Natiirlich Winiewski.

Die Vermutung des Hauptmanns bestätigte sich.
Pan Winiewski — Remken kannte ihn schon lange
— blieb immer in Warschau. Acht Tage nach Aus-
bruch des Krieges war er iibergelaufen. Remken
lachte gemächlich. Die vielen Falten des Gesichts
wurden zu laufenden Ackerfurchen. Das war so
eine echt russische Idee, einen Hanswurst, so einen
Schlangenmenschen, als Spion zu benutzen. Und
solche Leute wollten so ein Land verwalten!

Das mußte ich doch gleich den anderen mitteilen.
Aber sie hatten sich schon hingelegt. Scholl mit
seinem flauen Backenbart und dem spitzen Kinn
schnitt ein drohendes Gesicht im Schlafe. Der
zweite Schlesier hatte das Maul offen. Der Schul-
lehrer schnarchte. Nur Mehlwurm war noch wach
und rauchte. Als ich es ihm erzählte, nahm er die
Pfeife aus dem Mund, strich sich mit dem Mundstück
einmal nach rechts, einmal nach links den Schnurr-
bart, zuckte die Achseln und rauchte weiter.

Ich hatte noch keinen Schlaf. Remken auch
nicht. Es war schon alles Mögliche. Man fuhr zu-
fällig auf einer Chaussee ein paar hundert Schritte
zu weit und kam in die Unendlichkeit. Remken
hatte das Telegramm schon mit Tinte geschrieben,
ein kleines Stück Papier mit russischen Buchstaben.

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