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Meier-Graefe, Julius [Hrsg.]
Die Weltausstellung in Paris 1900 — Paris, 1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.1400#0046
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Gegensatze zu dem verhältnismässig ungeheurem
Reichtume seiner Eigentümer steht.

China und Japan haben sich darauf beschränkt,
die Erinnerung an die für ihre Länder charakte-
ristische Architektur aufzufrischen.

Auf dem Trocadero befindet sich ebenfalls das
Privatunternehmen „Andalusien zur Zeit der Mauren"
in Genre von „Alt-Paris", das die baulichen Momente
der alten Architektur Andalusiens in malerischer
Weise verwendet.

Unsere Architektur befindet sich in dem peniblen
Zwischenzustand, halb Fisch, halb Fleisch. An dem
Eisenkörper der modernen Baukunst haften noch die
bunten Flitter vergangener Jahrhunderte. Es ist
schliesslich kein Wunder, dass auch die Ausstellung
diesen Charakter trägt. Es galt, prächtig zu sein;
unsere neuen Baumeister haben noch nicht bewiesen,
dass sie eine neue Pracht besitzen; es steht dahin,
ob diese überhaupt mit dem Eklat, der den früheren
Stilen eigen war, denkbar ist, ob unsere nüchterne
Zukunft Zeit und Geld für die Art der Üppigkeit haben
wird, die wir aus der königlichen Vergangenheit zumal
Frankreichs bewundern. Wir werden andere Schön-
heiten finden, die anderen, neueren Ansprüchen ge-
nügen. Und so erscheint dieser Bau von Bauten wie
ein wehmütiges Lebewohl einer alten Zeit, in das sich
bereits, noch schüchtern versteckt, die Willkommen-
grüsse einer neuen Ära mischen. Gerade der wahl-
lose Leichtsinn mit dem man verschwenderisch die
Schmuckelemente aller nur denkbaren Stile an dieser
Ausstellung vereint hat, beweist, dass sie fallen
müssen. Man liess sie noch einmal zu Wort kommen
in einem feierlichen Moment. Der grosse Besen
wird in wenigen Monaten das nicht Stabile weg-
kehren und der noch grössere Besen, die Zeit, die

Erinnerung an all den fröhlichen Tand bald auch an
allen anderen Stellen, wo das Alte noch fester haftet,
entfernen.

Schon heute kann man sich in die Zukunft träumen, die aus-
wennman die Ausstellung zur Nachtzeit durchwandelt, ^mbend
Dann verblassen die vielen Engelchen und Konsölchen,
all der kleine, kleinliche Zierat, gespenstig im Dunkeln;
was bleibt, sind die grossen Umrisse, das ungeheuer-
lich Massige dieser Schöpfung. Ganz von. selbst
vollzieht dann die Nacht das, was wir von der neuen
Baukunst erwarten, Konzentration, Grösse. Und
noch ein neuer Reiz bietet sich dann. Da, wo das
Thor Binets steht, erhebt sich ein anderes, unver-
gleichlich schöner als sein Konkurrent am Tage. Es
leuchtet in tausend blauvioletten Lichtkörpern. Zwei
kolossale Pfeiler, die aus einem neuen, seltenen
Material scheinen, kostbarer als all der imitierte
Marmor, an dem man tagsüber sich satt gesehen,
bilden die Eingangspfosten. Dahinter und darüber
erglänzt in festlichen Nächten eine neue Welt, eine
neue Ausstellung, die man sprachlos vor Entzücken
betrachtet, der man nicht näher zu kommen wagt,
aus Angst, es möchte alles Trug sein und das Bild
des Tages wieder erscheinen. Alle Paläste sind in
Lichtträger verwandelt, überall betonen die kleinen
Flammen nur die Hauptlinien der Bauwerke. Dann
ist auch das Chateau d'Eau ein wunderbarer Palast.
All das Phantastische, das sein Baumeister verführte,
ist jetzt künstlerisch gelöst. Aus dem Gips ist ein
in allen Farben leuchtendes Krystall geworden, schön
und gross wie die Bauten, von denen die Märchen
erzählen. Alsdann findet man auch in der Ausstellung
das, was uns Deutsche immer trotz aller Zeiten Strenge
verführt: Poesie. M—G.

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