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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]
Das Kuppelgrab bei Menidi — Athen, 1880

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https://doi.org/10.11588/diglit.1123#0062
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glaube nicht, dass ausreichender Grund zu einem so willkührliehen Verfahren vorliegt. Ich
erkenne in dem Widerspruch, der zwischen dem Verbrennungsmodus und der Form der
Gräber unleugbar besteht, den eigenartigen, hybriden Charakter der Cultur wieder, der
sich uns in dem Inhalt der Gräber, dem Stil und den Ornamenten der Schmucksachen und
Gefässe abspiegelt. Ich vermuthe, dass bei den Menschen, von denen die Gräber herrühren,
es nationale Sitte war ihre Todten zu verbrennen, und dass die Form der Gräber unter dem
Einfluss einer fremden Cultur, durch Nachahmung fremder, auf andern Vorstellungen von
Menschenseele und Tod basirten Sitten entstanden ist. Jene Menschen hatten anfänglich nach
Familien und Geschlechtern gemeinsame Verbrennungsplätze, welche später in die aus
Imitation hervorgegangenen Begräbnissstätten verlegt wurden. Nur so kann ich mir die Ent-
stehung einer Moderschicht, wie sie in den besser erhaltenen Gräbern beobachtet worden
ist, erklären. Und für diese Auffassung scheint sich von anderer Seite her eine gewisse Bestä-
tigung darzubieten. Es ist vor einiger Zeit aus technischen Gründen behauptet worden1, dass
die Kuppelgräber in Griechenland den Tumulusgräbern in Kleinasien in ihrer ältesten Ge-
stalt nachgebildet und dass die gemeinsamen Vorbilder für beide in den ältesten Gräbern zu
finden seien, die in Mesopotamien in der Nähe des alten Babylon in grosser Anzahl sich
ausdehnen. Die asiatischen Grabkammern haben statt der Kuppel- die verwandte Form des
sogenannten falschen Gewölbes, die Technik ist die gleiche wie in den Kuppelgräbern. Die
Todten lagen in den babylonischen Gräbern ausgestreckt auf Matten, umgeben von Schmuck-
sachen und Geräthen des täglichen Lebens. Dieser Bestattungsmodus lässt auf entwickeltere
Vorstellungen von der menschlichen Seele schliessen als die Leichenverbrennung. Leider
fehlen uns die Mittelglieder zwischen den asiatischen und den auf europäischer Seite befind-
lichen Grabanlagen. Ist die Ansicht von dem genetischen Zusammenhange der beiden Grup-
pen richtig, so dürfen wir erwarten, dass eines Tages eine Uebergangsform oder dass we-
nigstens die beiden bekannten Formen an einem Orte vereinigt gefunden werden. Und zwar
sollte man meinen, die fehlenden Mittelglieder müssten auf den Inseln gesucht werden, die
den Uebergang bilden von Asien nach Europa. Auf das Land zwischen Euphrat und Tigris
als letzten wenn auch nicht ausschliesslichen Ausgangspunkt der Cultur, welche uns in den
Gräbern an der Ostküste Griechenlands entgegentritt, weisen auch die aufgefundenen Indu-
strieprodukte hin, wie öfters bemerkt worden ist, und diese Beobachtung steht in vollem
Einklang mit Allem, was wir über den Entwicklungsgang der menschlichen Civilisation im
Alterthum wissen.

Indess, meine Herrn, ich fahre nicht weiter fort in diesen Ausführungen, deren vielfach
problematischer Charakter mir am wenigsten verborgen ist. Nur neue Ausgrabungen und
Beobachtungen werden uns hier zu bestimmteren und klareren Anschauungen verhelfen
können. Die nächste Aufgabe ist gestellt: Die Erforschung der Kuppelgräber in Bootien und
Lakonien. Hier könnten wichtige Aufschlüsse gewonnen werden über mehr als eine Frage,
die sich an diese merkwürdigen, für die Vorgeschichte Griechenlands einzigen Denkmäler
knüpft. Möge die Aufgabe, die der Wissenschaft in jenen beiden Landschaften harrt, recht
bald gelost werden.

1 Von Adler in einem Vortrag.
 
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