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die Mücken; — sonst war kaum ein lebendes Wesen zu
sehen und nur aus weiter Ferne drang das gelegentliche
Hü und Hott eines Fuhrmanns oder das Bellen eines
Hundes zu ihr herüber. —
Ihre Gedanken weilten bei der Schilderung, welche Otto
ihr einst von dem ländlichen Leben entworfen hatte, und
sie erinnerte sich deutlich, wie seine Worte damals zu einem
Lockruf für sie geworden waren. Ruhe und Stille, die
beiden ihr so fremden Güter, waren ihr geworden — hatten
sie ihr auch das dritte derselben, den Frieden, gebracht?
Sie preßte die Lippen zusammen; der geheimuißvolle Druck
in ihrem Innern, der sich so oft fühlbar gemacht hatte,
war noch nicht ganz gewichen, ja zu mancher Stunde hatte
er vielleicht gerade aus jener Ruhe und Stille doppelte
Nahrung gewonnen; — aber es war doch nicht mehr alles
wie sonst, wenn sie sich auch nicht ganz klar zu sagen ver-
mochte, was sich eigentlich geändert habe. Sie wußte nur,
daß ihr zuweilen sei, als fühle sie in ihrem Innern etwas
von einem weichen Thau berührt, das früher dürr und wie
versengt gewesen war.
Ihre Gedanken unterbrachen sich indessen bald, denn
ihr Auge war auf eine Gestalt gefallen, einen Mann zu
Pferde, den die beschleunigte Gangart seines Thiers rasch
näher brachte. Es war der Erwartete und sie ließ ihre
Blicke an ihm hangen.
Otto war ein gewandter und zugleich ein eleganter
Reiter; und gerade in diesem Augenblick fand sie volle
Gelegenheit, seine Geschicklichkeit zu bewundern. Sein Roß
war muthig und eine minder geübte Hand würde Mühe
gehabt haben, es zu bändigen; die seine aber verstand es,
den Willen des Thieres zu beherrschen, so daß dasselbe
über ein bloßes anmuthiges Kurbettiren nicht hinaus kam.
Und dazu überraschte sie noch eine Wahrnehmung; entweder
war die Uniform, welche Otto früher trug, ihm nicht be-
Gestalt nicht ^so
auszeichnete, daß sie anders auf ihn als auf einen der
übrigen Offiziere geblickt hätte, oder es war, seit er auf
Mellingen weilte, wirklich eine Veränderung mit ihm vor-
gegangen, die ihm diesen Zug von kräftiger Männlichkeit
erst verliehen hatte —: jedenfalls kam cs ihr in dieser
Minute auf einmal zum Bewußtsein, daß Otto eigentlich
ein schöner Mann sei.
Als er sie erblickte, grüßte er herauf, und als er ihrem
Lächeln begegnete, glitt ein Heller Ausdruck über sein Ge-
sicht. Dann sprang er vom Pferde und warf die Zügel
dem herbeigeeilten Stallknecht zu: Pauline aber zog sich
von dem Balkon zurück, um ihn innerhalb des Hauses zu
empfangen.
Es währte übrigens noch einige Minuten, ehe er vor
ihr erschien, denn er hatte auf seinem Wege Hedwig an-
getroffen und dieser mußte er verschiedene Mittheilungen
machen, von ihr sich auf eine Reihe von Fragen Antwort
holen. Zugleich aber setzte er seinen Gang, wenn auch
langsameren Schritts, fort, und so geschah es, daß er in
ihrer Begleitung über Paulinens Schwelle trat.
„Du bliebst heute wieder lange aus, Otto!" sagte die
schöne Frau, als der Gatte sie begrüßt hatte.
„Es ist wirklich spät geworden," entgegnete er, „aber
ich bemerkte das nicht, denn die Arbeiten beschäftigten mich.
— Daß du aber die Zeit nachrcchnetest, darf mich fast
freuen, Pauline!"
Er hatte die letzten Worte halb scherzend hinzugefügt,
um sich dann jedoch sofort wieder gegen Hedwig zu wen-
den: „Wenn du nun für einen Trunk sorgen möchtest,
Hedwig!" sagte er, indem er ein Tuch zog und sich die
heiße Stirn trocknete; „ich habe ihn mir in der Last und
Hitze des Tages verdient und-aber wie ist das?"
unterbrach er sich selbst verwundert, als Hedwig ihm in
dem nämlichen Augenblick das ersehnte Getränk darreichte,
„du hattest bereits für mich gesorgt? Wie gut du bist,
Mädchen!"
„Sag lieber, wie bequem!" lachte Hedwig. „Es fiel
mir vorhin ein, daß du dich vielleicht für durstig erkläre»
könntest, und um mir also die spätere Ruhe zu ersparen,
trug ich die Flasche gleich herzu."
Er drohte ihr scherzend mit dem Finger. „Mach dich
nur wieder einmal schlecht, Mädchen! Es bleibt doch so:
du bist unsere gute Fee!"
Hedwig schüttelte etwas unmuthig den Kopf; das Wort
aber nahm in diesem Augenblick Pauline.
„Ihr beide hattet euer Tagewerk, ich weiß es, und ich
blieb hier im Zimmer müßig — kann ich darum etwas
für dich thun, Otto, wollen Sie ausruhen, Hedwig, so bin
ich da!"
„Ja, du bist da, Pauline," sagte Otto mit halb hei-
terem, halb innigem Ton, „das ist genug für mich und
für Hedwig wohl auch. Deine Mission bleibt es, zu hin-
dern, daß wir uns an die Sorge des Alltaglebens ver-
lieren! -Du hast gelesen?" fügte er dann hinzu,
indem er nach einem aufgeschlagenen Buche wies.
„Nun ja," war ihre Antwort; „wenigstens blätterte ich
eine Weile. Es ist das neue epische Gedicht deines Lieb-
lingsdichters, das du mir neulich schenktest."
„Ah," sagte er und griff nach dem Bande, „hatte ich
doch selbst kaum wieder an das Werk gedacht!"
Seine Augen fielen auf die Seiten und ein paar Blätter
wandten sich unter seinen Fingern um; daun aber blickte
er wieder auf. „Soll mir die Poesie recht nahe kommen,
muß sie mir von dir vertreten werden, Pauline! Und da
du ja doch etwas für mich thun wolltest," fuhr er halb
scherzend fort, „so bitte ich dich, laß zu der Kunst des
Dichters erst noch die deine kommen!"
Sie zuckte leicht die Achseln; es mochte ihr in diesem,
Augenblick nicht völlig genehm sein, sich mit den Gedanken
eines Dritten, eines vielleicht nicht einmal sehr von ihr ge-
schätzten Dichters, beschäftigen zu sollen, aber eine Un-
gefälligkeit wollte sie sich gerade jetzt nicht erlauben und so
wählte sie rasch eine ihr passend scheinende Stelle der Dich-
tung aus und begann sie vorzulesen.
(Fortsetzung folgt.)
Die Kunstsammlung ans dem Heidelberger Schlosse.
Von E. Mentzel.
(Fortsetzung.)
Die nun zunächst zu nennende Urkunde ist eine Vor-
stellung des Kurfürsten Ludwig VI. (1576-83) mit eigen-
händiger Unterschrift an Kaiser Maximilian zu Gunsten
seiner Tante Sabina, geb. Pfalzgräfin bei Rhein, Wittwe
des im niederländischen Freiheitskampfe enthaupteten Grafen
Egmont und seiner Kinder. Dieselbe ist datirt Amberg
9. April 1576.
Den Sohn des Grafen Egmont betrifft auch eine Ur-
kunde des Pfalzgrafen Johann Kasimir, späteren Admini-
strators der Pfalz in französischer Sprache (1583—92) und
mit eigenhändiger Unterschrift, ausgestellt Friedelsheim 17.
April 1581. An diesen Ort begab sich der vortreffliche
Fürst, um der durch seinen Bruder Ludwig VI. streng
durch geführten lutherischen Gegenreformation auszuweichen.
Das Ansehen, welches Johann Casimir schon damals bei
den Pfälzern genoß, beweist ein dieser Urkunde beigelegtes
Porträt, ein gleichzeitiger Holzschnitt mit einem französischen
Sonnet, gedruckt zu Neustadt in der Pfalz.
Vom Kurfürsten Friedrich IV., 1592—1610 (Sohn
Ludwig VI.), Haupt der protestantischen Union, sind nur
einige Stammblätter in der Sammlung vorhanden. Auch
die Mücken; — sonst war kaum ein lebendes Wesen zu
sehen und nur aus weiter Ferne drang das gelegentliche
Hü und Hott eines Fuhrmanns oder das Bellen eines
Hundes zu ihr herüber. —
Ihre Gedanken weilten bei der Schilderung, welche Otto
ihr einst von dem ländlichen Leben entworfen hatte, und
sie erinnerte sich deutlich, wie seine Worte damals zu einem
Lockruf für sie geworden waren. Ruhe und Stille, die
beiden ihr so fremden Güter, waren ihr geworden — hatten
sie ihr auch das dritte derselben, den Frieden, gebracht?
Sie preßte die Lippen zusammen; der geheimuißvolle Druck
in ihrem Innern, der sich so oft fühlbar gemacht hatte,
war noch nicht ganz gewichen, ja zu mancher Stunde hatte
er vielleicht gerade aus jener Ruhe und Stille doppelte
Nahrung gewonnen; — aber es war doch nicht mehr alles
wie sonst, wenn sie sich auch nicht ganz klar zu sagen ver-
mochte, was sich eigentlich geändert habe. Sie wußte nur,
daß ihr zuweilen sei, als fühle sie in ihrem Innern etwas
von einem weichen Thau berührt, das früher dürr und wie
versengt gewesen war.
Ihre Gedanken unterbrachen sich indessen bald, denn
ihr Auge war auf eine Gestalt gefallen, einen Mann zu
Pferde, den die beschleunigte Gangart seines Thiers rasch
näher brachte. Es war der Erwartete und sie ließ ihre
Blicke an ihm hangen.
Otto war ein gewandter und zugleich ein eleganter
Reiter; und gerade in diesem Augenblick fand sie volle
Gelegenheit, seine Geschicklichkeit zu bewundern. Sein Roß
war muthig und eine minder geübte Hand würde Mühe
gehabt haben, es zu bändigen; die seine aber verstand es,
den Willen des Thieres zu beherrschen, so daß dasselbe
über ein bloßes anmuthiges Kurbettiren nicht hinaus kam.
Und dazu überraschte sie noch eine Wahrnehmung; entweder
war die Uniform, welche Otto früher trug, ihm nicht be-
Gestalt nicht ^so
auszeichnete, daß sie anders auf ihn als auf einen der
übrigen Offiziere geblickt hätte, oder es war, seit er auf
Mellingen weilte, wirklich eine Veränderung mit ihm vor-
gegangen, die ihm diesen Zug von kräftiger Männlichkeit
erst verliehen hatte —: jedenfalls kam cs ihr in dieser
Minute auf einmal zum Bewußtsein, daß Otto eigentlich
ein schöner Mann sei.
Als er sie erblickte, grüßte er herauf, und als er ihrem
Lächeln begegnete, glitt ein Heller Ausdruck über sein Ge-
sicht. Dann sprang er vom Pferde und warf die Zügel
dem herbeigeeilten Stallknecht zu: Pauline aber zog sich
von dem Balkon zurück, um ihn innerhalb des Hauses zu
empfangen.
Es währte übrigens noch einige Minuten, ehe er vor
ihr erschien, denn er hatte auf seinem Wege Hedwig an-
getroffen und dieser mußte er verschiedene Mittheilungen
machen, von ihr sich auf eine Reihe von Fragen Antwort
holen. Zugleich aber setzte er seinen Gang, wenn auch
langsameren Schritts, fort, und so geschah es, daß er in
ihrer Begleitung über Paulinens Schwelle trat.
„Du bliebst heute wieder lange aus, Otto!" sagte die
schöne Frau, als der Gatte sie begrüßt hatte.
„Es ist wirklich spät geworden," entgegnete er, „aber
ich bemerkte das nicht, denn die Arbeiten beschäftigten mich.
— Daß du aber die Zeit nachrcchnetest, darf mich fast
freuen, Pauline!"
Er hatte die letzten Worte halb scherzend hinzugefügt,
um sich dann jedoch sofort wieder gegen Hedwig zu wen-
den: „Wenn du nun für einen Trunk sorgen möchtest,
Hedwig!" sagte er, indem er ein Tuch zog und sich die
heiße Stirn trocknete; „ich habe ihn mir in der Last und
Hitze des Tages verdient und-aber wie ist das?"
unterbrach er sich selbst verwundert, als Hedwig ihm in
dem nämlichen Augenblick das ersehnte Getränk darreichte,
„du hattest bereits für mich gesorgt? Wie gut du bist,
Mädchen!"
„Sag lieber, wie bequem!" lachte Hedwig. „Es fiel
mir vorhin ein, daß du dich vielleicht für durstig erkläre»
könntest, und um mir also die spätere Ruhe zu ersparen,
trug ich die Flasche gleich herzu."
Er drohte ihr scherzend mit dem Finger. „Mach dich
nur wieder einmal schlecht, Mädchen! Es bleibt doch so:
du bist unsere gute Fee!"
Hedwig schüttelte etwas unmuthig den Kopf; das Wort
aber nahm in diesem Augenblick Pauline.
„Ihr beide hattet euer Tagewerk, ich weiß es, und ich
blieb hier im Zimmer müßig — kann ich darum etwas
für dich thun, Otto, wollen Sie ausruhen, Hedwig, so bin
ich da!"
„Ja, du bist da, Pauline," sagte Otto mit halb hei-
terem, halb innigem Ton, „das ist genug für mich und
für Hedwig wohl auch. Deine Mission bleibt es, zu hin-
dern, daß wir uns an die Sorge des Alltaglebens ver-
lieren! -Du hast gelesen?" fügte er dann hinzu,
indem er nach einem aufgeschlagenen Buche wies.
„Nun ja," war ihre Antwort; „wenigstens blätterte ich
eine Weile. Es ist das neue epische Gedicht deines Lieb-
lingsdichters, das du mir neulich schenktest."
„Ah," sagte er und griff nach dem Bande, „hatte ich
doch selbst kaum wieder an das Werk gedacht!"
Seine Augen fielen auf die Seiten und ein paar Blätter
wandten sich unter seinen Fingern um; daun aber blickte
er wieder auf. „Soll mir die Poesie recht nahe kommen,
muß sie mir von dir vertreten werden, Pauline! Und da
du ja doch etwas für mich thun wolltest," fuhr er halb
scherzend fort, „so bitte ich dich, laß zu der Kunst des
Dichters erst noch die deine kommen!"
Sie zuckte leicht die Achseln; es mochte ihr in diesem,
Augenblick nicht völlig genehm sein, sich mit den Gedanken
eines Dritten, eines vielleicht nicht einmal sehr von ihr ge-
schätzten Dichters, beschäftigen zu sollen, aber eine Un-
gefälligkeit wollte sie sich gerade jetzt nicht erlauben und so
wählte sie rasch eine ihr passend scheinende Stelle der Dich-
tung aus und begann sie vorzulesen.
(Fortsetzung folgt.)
Die Kunstsammlung ans dem Heidelberger Schlosse.
Von E. Mentzel.
(Fortsetzung.)
Die nun zunächst zu nennende Urkunde ist eine Vor-
stellung des Kurfürsten Ludwig VI. (1576-83) mit eigen-
händiger Unterschrift an Kaiser Maximilian zu Gunsten
seiner Tante Sabina, geb. Pfalzgräfin bei Rhein, Wittwe
des im niederländischen Freiheitskampfe enthaupteten Grafen
Egmont und seiner Kinder. Dieselbe ist datirt Amberg
9. April 1576.
Den Sohn des Grafen Egmont betrifft auch eine Ur-
kunde des Pfalzgrafen Johann Kasimir, späteren Admini-
strators der Pfalz in französischer Sprache (1583—92) und
mit eigenhändiger Unterschrift, ausgestellt Friedelsheim 17.
April 1581. An diesen Ort begab sich der vortreffliche
Fürst, um der durch seinen Bruder Ludwig VI. streng
durch geführten lutherischen Gegenreformation auszuweichen.
Das Ansehen, welches Johann Casimir schon damals bei
den Pfälzern genoß, beweist ein dieser Urkunde beigelegtes
Porträt, ein gleichzeitiger Holzschnitt mit einem französischen
Sonnet, gedruckt zu Neustadt in der Pfalz.
Vom Kurfürsten Friedrich IV., 1592—1610 (Sohn
Ludwig VI.), Haupt der protestantischen Union, sind nur
einige Stammblätter in der Sammlung vorhanden. Auch