Wasserspeier und Giganten.
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Das Protocoll vom 12. Februar 1404, laut welchem eine ganze Anzahl dieser „Gi-
gantenstatuen“ an Bildhauer verdungen werden, nennt sie: „figurae gigantium, fiendae in
lapidibus marmoreis, occasione conductae aquae pro operibus fabricae“ und spricht
damit ihre Verbindung mit dem Ab Wässerungssystem des Domdaches aus, allein auch die
oben erwähnten „Wasserspeier“ dienen nicht überall unmittelbar als solche, und vollends die
Existenz dieser „Giganten“ ist eine rein künstlerische. Ihre Hauptaufgabe ist, die geraden
Flächen und Linien des architektonischen Organismus figürlich zu beleben — den Pfeiler-
und Fensterstatuen analog. Zweifellos sind sie mit den Wasserspeiern zusammen entstan-
den. Diese horizontal aus der Mauer hervorragenden Gebilde forderten eine Stütze ja
geradezu heraus, und es lag nahe, auch diese als Lebewesen, als männliche Figuren, zu
gestalten. Die Abwandlungen dieses Grundthemas ergeben sich dann fast unwillkürlich. Auf
Abb. 27.
Wasserspeier („homo salvaticus“, Sirene) und Gigant am Mailänder Dom.
Tragefiguren, auf „Atlanten“ allein, konnte man sich im Hinblick auf die relativ geringe
Anzahl von Lösungsformen nicht beschränken. Als unmittelbar functionirende Träger der
Speier sind diese Statuen in der That nur selten aufgefafst, meist ist die Thätigkeit des
Stützens vielmehr durch die etwas gebückte Haltung nur leicht angedeutet. Oft aber fehlt
selbst dies, und der Atlant wird zu einer Genrefigur, welche entweder thatsächlich nur als
solche, in einer inhaltlich ziemlich gleichgültigen Situation wiedergegeben, gleichsam nur
als Studie oder Act entworfen, oder aber mit dem über ihr befindlichen Wasserspeier
durch Abwehr oder durch Angriff zu einer Gruppe verbunden ist.
So ist pragmatisch und a posteriori die Entstehung dieser Figuren unschwer
zu erklären.
Auch der historische Weg, auf welchem sie erfolgte, läfst sich wenigstens im
allgemeinen noch überschauen. Er geleitet durch die romanische Epoche hindurch bis zur
Antike zurück. Die Atlanten des Alterthums und die mannigfachen figürlichen Stützen
des antiken Kunstgewerbes fanden ihre freilich arg entartete Nachkommenschaft in jenen
zahlreichen stehenden und kauernden Tragefiguren der romanischen Kunst, welche in
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Das Protocoll vom 12. Februar 1404, laut welchem eine ganze Anzahl dieser „Gi-
gantenstatuen“ an Bildhauer verdungen werden, nennt sie: „figurae gigantium, fiendae in
lapidibus marmoreis, occasione conductae aquae pro operibus fabricae“ und spricht
damit ihre Verbindung mit dem Ab Wässerungssystem des Domdaches aus, allein auch die
oben erwähnten „Wasserspeier“ dienen nicht überall unmittelbar als solche, und vollends die
Existenz dieser „Giganten“ ist eine rein künstlerische. Ihre Hauptaufgabe ist, die geraden
Flächen und Linien des architektonischen Organismus figürlich zu beleben — den Pfeiler-
und Fensterstatuen analog. Zweifellos sind sie mit den Wasserspeiern zusammen entstan-
den. Diese horizontal aus der Mauer hervorragenden Gebilde forderten eine Stütze ja
geradezu heraus, und es lag nahe, auch diese als Lebewesen, als männliche Figuren, zu
gestalten. Die Abwandlungen dieses Grundthemas ergeben sich dann fast unwillkürlich. Auf
Abb. 27.
Wasserspeier („homo salvaticus“, Sirene) und Gigant am Mailänder Dom.
Tragefiguren, auf „Atlanten“ allein, konnte man sich im Hinblick auf die relativ geringe
Anzahl von Lösungsformen nicht beschränken. Als unmittelbar functionirende Träger der
Speier sind diese Statuen in der That nur selten aufgefafst, meist ist die Thätigkeit des
Stützens vielmehr durch die etwas gebückte Haltung nur leicht angedeutet. Oft aber fehlt
selbst dies, und der Atlant wird zu einer Genrefigur, welche entweder thatsächlich nur als
solche, in einer inhaltlich ziemlich gleichgültigen Situation wiedergegeben, gleichsam nur
als Studie oder Act entworfen, oder aber mit dem über ihr befindlichen Wasserspeier
durch Abwehr oder durch Angriff zu einer Gruppe verbunden ist.
So ist pragmatisch und a posteriori die Entstehung dieser Figuren unschwer
zu erklären.
Auch der historische Weg, auf welchem sie erfolgte, läfst sich wenigstens im
allgemeinen noch überschauen. Er geleitet durch die romanische Epoche hindurch bis zur
Antike zurück. Die Atlanten des Alterthums und die mannigfachen figürlichen Stützen
des antiken Kunstgewerbes fanden ihre freilich arg entartete Nachkommenschaft in jenen
zahlreichen stehenden und kauernden Tragefiguren der romanischen Kunst, welche in