BETTINA ELPERS
Während sie die Markgrafschaft leitete,
erzog sie ihren kleinen Sohn
Mütterliche Regentschaften
als Phänomen adliger Herrschaftspraxis
Als Landgraf Ludwig IV. von Thüringen im Jahr 1227 starb, unternahm es nach dem
Bericht der Reinhardsbrunner Chronik seine Mutter Sophia seiner Witwe die trau-
rige Nachricht zu überbringen: »Und es sorgte aber die Weisheit der Frommen und
die Klugheit der Weisen dafür, dass diese unglückselige und beklagenswerte
Geschichte nicht durch schroffen oder tölpelhaften Vortrag irgendjemandes zu den
Ohren der zurückgelassenen Gemahlin gebracht würde; Es schien dies könne und
solle passender durch die Mutter des Verstorbenen, die Herrin Sophia geschehen.
Diese, nachdem sie einige adlige und vornehme Damen dazugenommen hatte, kam
auf die Wartburg zu ihrer Schwiegertochter und wurde ehrerbietig und wohlwol-
lend aufgenommen. Als diese sich gesetzt hatten, sagte die Schwiegermutter zur
Schwiegertochter: >Du sollst mutigen Sinnes sein, meine geliebte Tochter, damit du
nicht betrübt werdest über das, was die göttliche Vorsehung mit deinem Mann
getan hat<«7 Ihre Schwiegertochter verstand zunächst nicht, doch dann reagierte sie
mit ungewöhnlicher Heftigkeit: »Sie verschränkte die Finger, ließ sie über den
Knien wieder los und sprach mit Trauer: >Tot, tot ist er und tot ist mir die Welt und
alles, was in ihr ist.< Nachdem sie das gesagt hatte, sprang sie unter Tränen auf und
durchquerte schnellen Schrittes und mit Ungestüm die Länge des Palastes. Außer
sich nämlich wäre sie überall hingelaufen, wenn ihr nicht die Wand entgegenge-
standen hätte. Die Hinzueilenden aber, die da waren, zogen sie von der Wand, an
die sich gekrallt hatte. Es flössen die Augen aller und es troff das Gesicht von Tränen
über den Tod des liebenswerten Mannes und wegen des Mitgefühls für die so bekla-
genswert hinterlassene Gattin. Entfernt hatte sich der Tröster, es schwand aller
Trost«.1 2
1 Providebat autem et discrecio piorum et discretorum prudencia, ne hec infausta et lamentabilis fama ad
aures relicte uxoris importuna relacione vel stolida cuiuspiam deferretur, visumque est per matrem
defuncti dominam Sophiam hoc magis oportune posse fieri et debere. Que assumptis quibusdam nobilibus
et discretis matronis et Wartperg ad nurum veniens reverenter et benigne suscepta est. Que cum sedis-
sent, dixit socrus ad nurum: >Forti animo esto, filia mi dilecta, nec turberis super eo quod circa virum
tuum,filium meum, divina disposicione gestum est<. Cronica Reinhardsbrunnensis, hg. von Oswald
Holder-Egger, in: Monumenta Germaniae Historica. Scriptores 30/1, Hannover 1896, Neu-
druck 1976, S. 490-656, S. 612.
2 Tune illa connodans digitos, super genus remittens, mesticia ait: >Mortuus, mortuus est et michi mun-
dus et omne quod in mundo blanditur.< Hoc dicto repente surgens cum fletu, celeri gressu longitudinem
pallacii cum impetu pertransiit. Extra se namque posita mente usquequaque percurrisset, nisi paries
Während sie die Markgrafschaft leitete,
erzog sie ihren kleinen Sohn
Mütterliche Regentschaften
als Phänomen adliger Herrschaftspraxis
Als Landgraf Ludwig IV. von Thüringen im Jahr 1227 starb, unternahm es nach dem
Bericht der Reinhardsbrunner Chronik seine Mutter Sophia seiner Witwe die trau-
rige Nachricht zu überbringen: »Und es sorgte aber die Weisheit der Frommen und
die Klugheit der Weisen dafür, dass diese unglückselige und beklagenswerte
Geschichte nicht durch schroffen oder tölpelhaften Vortrag irgendjemandes zu den
Ohren der zurückgelassenen Gemahlin gebracht würde; Es schien dies könne und
solle passender durch die Mutter des Verstorbenen, die Herrin Sophia geschehen.
Diese, nachdem sie einige adlige und vornehme Damen dazugenommen hatte, kam
auf die Wartburg zu ihrer Schwiegertochter und wurde ehrerbietig und wohlwol-
lend aufgenommen. Als diese sich gesetzt hatten, sagte die Schwiegermutter zur
Schwiegertochter: >Du sollst mutigen Sinnes sein, meine geliebte Tochter, damit du
nicht betrübt werdest über das, was die göttliche Vorsehung mit deinem Mann
getan hat<«7 Ihre Schwiegertochter verstand zunächst nicht, doch dann reagierte sie
mit ungewöhnlicher Heftigkeit: »Sie verschränkte die Finger, ließ sie über den
Knien wieder los und sprach mit Trauer: >Tot, tot ist er und tot ist mir die Welt und
alles, was in ihr ist.< Nachdem sie das gesagt hatte, sprang sie unter Tränen auf und
durchquerte schnellen Schrittes und mit Ungestüm die Länge des Palastes. Außer
sich nämlich wäre sie überall hingelaufen, wenn ihr nicht die Wand entgegenge-
standen hätte. Die Hinzueilenden aber, die da waren, zogen sie von der Wand, an
die sich gekrallt hatte. Es flössen die Augen aller und es troff das Gesicht von Tränen
über den Tod des liebenswerten Mannes und wegen des Mitgefühls für die so bekla-
genswert hinterlassene Gattin. Entfernt hatte sich der Tröster, es schwand aller
Trost«.1 2
1 Providebat autem et discrecio piorum et discretorum prudencia, ne hec infausta et lamentabilis fama ad
aures relicte uxoris importuna relacione vel stolida cuiuspiam deferretur, visumque est per matrem
defuncti dominam Sophiam hoc magis oportune posse fieri et debere. Que assumptis quibusdam nobilibus
et discretis matronis et Wartperg ad nurum veniens reverenter et benigne suscepta est. Que cum sedis-
sent, dixit socrus ad nurum: >Forti animo esto, filia mi dilecta, nec turberis super eo quod circa virum
tuum,filium meum, divina disposicione gestum est<. Cronica Reinhardsbrunnensis, hg. von Oswald
Holder-Egger, in: Monumenta Germaniae Historica. Scriptores 30/1, Hannover 1896, Neu-
druck 1976, S. 490-656, S. 612.
2 Tune illa connodans digitos, super genus remittens, mesticia ait: >Mortuus, mortuus est et michi mun-
dus et omne quod in mundo blanditur.< Hoc dicto repente surgens cum fletu, celeri gressu longitudinem
pallacii cum impetu pertransiit. Extra se namque posita mente usquequaque percurrisset, nisi paries