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Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]; Rogge, Jörg [Bearb.]
Fürstin und Fürst: Familienbeziehungen und Handlungsmöglichkeiten von hochadeligen Frauen im Mittelalter ; [Referate, die vom 20. bis 23. März 2002 im Rahmen eines Symposiums mit dem Titel "Fürstin und Fürst. Rollenverständnis, Handlungsspielräume und Konfliktverhalten in den Geschlechterbeziehungen des hohen und fürstlichen Adels im Mittelalter und am Beginn der Frühen Neuzeit in europäischer Perspektive" im Erbacher Hof (Mainz) vorgetragen und diskutiert worden sind] — Mittelalter-Forschungen, Band 15: Ostfildern, 2004

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Elpers, Bettina,: Während sie die Markgrafschaft leitete, erzog sie ihren kleinen Sohn. Mütterliche Regentschaften als Phänomen adliger Herrschaftspraxis
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https://doi.org/10.11588/diglit.34729#0161

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Bettina Elpers

Nur ein Jahr nach Ludwigs Tod hatte Berthold, Kaplan am Landgrafenhof, die
Szene niedergeschrieben, die in der Reinhardsbrunner Chronik, einer im Hausklos-
ter der Ludowinger 1340 entstandenen Kompilation, überliefert ist.3 Die junge
Witwe, die sich so hemmungslos ihrem Schmerz hingab, war keine geringere als Eli-
sabeth, ungarische Königstochter, Landgräfin von Thüringen, Heilige - wohl eine
der bekanntesten deutschen Fürstinnen des Hochmittelalters und Mutter eines min-
derjährigen Sohnes. Denn Elisabeth hatte nicht nur um ihren geliebten Gemahl zu
trauern. Dieser war gestorben, ohne dass ein erwachsener Sohn in der Herrschaft
nachfolgen konnte: Ein Umstand, der von höchster Brisanz für die Nachfolge des
Geschlechtes in der Landgrafschaft war; ein Umstand, dem der Chronist keinerlei
Bedeutung zumisst. So nimmt diese eindrucksvolle Schilderung von persönlichem
Schmerz, Trauer und Verzweiflung eine außergewöhnliche Stellung in den Texten
ein, die über verwitwete Fürstinnen mit minderjährigen Söhnen berichteten, so
außergewöhnlich wie das Leben dieser Landgräfin und Heiligen - so außerge-
wöhnlich wie die Tatsache, dass Elisabeth nicht die Regentschaft für ihren Sohn
übernahm! Die Fürstinnen, mit denen ich mich in meiner Dissertation auseinander
gesetzt habe, sind weitaus weniger bekannt. Herzoginnen und Markgräfinnen,
wurden sie Regentinnen für ihre Söhne.
Ebenfalls aus dem 13. Jahrhundert stammt die Schilderung der Markgräfin
Gertrud von Meißen, die noch am frischen Grab ihres Mannes ihren Herrschaftsan-
spruch verkündet und gegen einigen Widerstand sich der Gefolgschaft der Ministe-
rialen ihres Mannes versichert haben soll - statt Tränen zu vergießen: »Als Markgraf
Heinrich von Eilenburg der Ältere, ..., starb, hinterließ er, wie man sagt, seine Frau
schwanger. Dies offenbarte sie noch während seines Begräbnisses den Anwesenden,
indem sie ihren geschwollenen Bauch zeigte. Weil Graf Konrad der Erbe des ver-
storbenen Markgrafen gewesen wäre, wenn dieser keinen Sohn hinterlassen hätte,
verbreiteten einige seiner Ministerialen ein Gerücht, dass sie durch ein um den
Bauch gebundenes Federkissen vorgetäuscht habe, schwanger zu sein. Als sie
davon erfuhr, rief sie auf einen bestimmten Tag alle Ministerialen ihres Gatten
zusammen und stellte sich in ihre Mitte an eine erhöhte Stelle; dann ließ sie ihren
Mantel von den Schultern bis zum Gesäß hinabgleiten, zeigte sich nackt und sagte.

obstitisset. Accedentes autem que aderant eam de pariete, cui adheserat, abstraxerunt. Fluebant oculi
omniurn, et madebat lacrimis facies super interitu viri amabilis et compassione relicte uxoris tarn misera-
bilis. Elongatus est consolator, recessit omnis consolacio. Cronica Reinhardsbrunnensis (wie Anm. 1),
S. 612.
3 Gültigkeit haben hier immer noch die Studien Oswald Holder-Eggers, die als Vorarbeiten zu
seiner Edition der Chronik entstanden sind: Studien zu Thüringischen Geschichtsquellen 1-5,
in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 20,1895, S. 373M21 und
S. 569-637; 21, 1896, S. 235-297, S. 441-546 und S. 685-735. Er weist nach, dass der zweite Teil
der Chronik auf die verlorenen Gesta ludozvici IV. lantgravii des am Landgrafenhof tätigen
Kaplan Berthold zurückgeht, die 1228 verfasst wurde. Holder-Egger, Studien 2, S. 622ff. Vgl.
Matthias Werner, Die Elisabeth-Vita des Dietrich von Apolda als Beispiel spätmittelalterli-
cher Hagiographie, in: Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im Spätmittelalter, hg.
von Hans Patze (Vorträge und Forschungen 31), Sigmaringen 1987, S. 523-541, S. 534f. Stefan
Tebruck, Die Reinhardsbrunner Geschichtsschreibung im Hochmittelalter. Klösterliche Traditi-
onsbildung zwischen Fürstenhof, Kirche und Reich (Jenaer Beiträge zur Geschichte 4), Frank-
furt am Main/Berlin/Bern 2001, S. 34f.
 
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