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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0036
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32

Kapitel 1

Die Gemeinsamkeiten der Forschung bis in die dreißiger Jahre sind also nicht
zu übersehen. Ausgegangen wurde von den Freien als staatstragender Schicht und
von einem Adel mit geringen Vorrechten, der nicht als Rechtsstand bezeichnet
werden könne. Auf dieser Basis wurde kontrovers diskutiert, welche tatsächliche
Bedeutung der Adel hatte. Zumeist bejaht wurde, daß ein solcher Adel bereits in
germanischer Zeit existierte, mit einigen Einschränkungen wurde bestritten, daß er
in größerem Umfang nach der Etablierung des Merowingerreichs fortlebte. Am
heftigsten umstritten war die Frage, ob Besitzakkumulation oder der Erwerb von
Ämtern das entscheidende Merkmal für die Entstehung bzw. Etablierung adliger
Fferrschaften war, wenngleich dies nicht immer als Gegensatz betrachtet wurde;
der Streit um die Staatlichkeit des mittelalterlichen Reichs führte zu zugespitzten
Argumentationen. Gemeinsam aber ist allen Autoren, daß die politische und recht-
liche Bedeutung des Adels (im Vergleich zur späteren Sicht) zunächst als eher
gering eingeschätzt wurde. Vor allem war man sich einig darüber, daß mit der
adligen Stellung zunächst keine Flerrschaft über Freie verbunden war. Ausgangs-
punkt der Betrachtung war damit stets das Verhältnis zwischen Volk und König;
der Adel stand bzw. schob sich zwischen diese beiden Akteure. Eine Änderung
der Verhältnisse wurde zumeist mit der politischen Geschichte verknüpft und
konsequenterweise für die ausgehende Karolingerzeit angenommen.
Insbesondere an Georg Ludwig von Maurer und Wilhelm Sickel orientierten
sich auch Marx und Engels^. Die Lehre, daß die bei den Germanen festgestellte
Gleichheit als Urzustand und Ausgangspunkt menschlicher Vergesellschaftung
überhaupt zu verstehen sei, hatte gegen Ende des 19. Jahrhunderts zahlreiche
Anhänger; nur am Rande sei erwähnt, daß auch die mittelalterlichen Gesellschafts-
theoretiker seit dem 12. Jahrhundert dieser Ansicht waren^E Die marxistische
Literatur der folgenden Jahrzehnte hielt an dieser Einschätzung natürlich in den
Grundzügen fest. Noch im Rahmen der germanischen Gentilgesellschaft mit ihrer
„Urdemokratie" habe sich ein „Stammes-" oder „Sippenadel" gebildet, der sich
durch Herkunft, Ansehen und Reichtum von den Freien unterschied, allerdings
keine besonderen Vorrechte genoß. Im Zuge der Durchsetzung des Feudalismus
sei ein Feudaladel entstanden, der über Ämter wie reichen Grundbesitz verfügte
und Herrschaft über Freie ausübtDA Obwohl dieses Verlaufsmodell nicht prinzi-
103 Vgl. dazu MÜLLER-MERTENS, Karl der Große, S. 17-23.
104 Vgl. TÖPFER, Urzustand, S. 291-352.
105 Vgl. zuletzt Deutsche Geschichte, Bd. 1. Diese „offizielle" Darstellung der deutschen Geschichte
spricht von einer Übergangsperiode zur Feudalherrschaft, die von 375 bis zum Beginn des 9. Jh. ge-
dauert habe. In der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts waren die Franken noch keine Klassengesell-
schaft, sondern eine militärische Demokratie in der Übergangsphase von vorgesellschaftlich-gentilen
zu klassengeschichtlichen Verhältnissen. Von der Entwicklung feudaler Produktionsverhältnisse
und damit von einem Feudaladel könne allerdings erst in der späteren fränkischen Zeit gesprochen
werden, als sich dieser gentile Adel mit den oberen Schichten des eroberten Gebietes verband. Die-
ser Prozeß habe ungefähr im 7. Jahrhundert begonnen und sei in der ersten Hälfte des 9. Jahrhun-
derts abgeschlossen worden. Zum Problem vgl. auch DONAT, Gentiladel - Feudaladel; DERS., Prob-
 
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