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Jürgen Dendorfer
staatlichen Entwicklung erkennen will, dann bedingt diese Perspektive der
Meisterzählung gleichsam zwangsläufig das Hervorheben sinnstiftender Kon-
tinuitätselemente in den Formen oder »Instituten« des Lehnswesens, die sich nur
graduell verändert hätten, und diese Sichtweise führt ebenso dazu, dass
widerständige und alternative Deutungsmöglichkeiten ausgeblendet werden. Vor
diesem forschungsgeschichtlichen Hintergrund stellt sich noch dringlicher die
Frage, ob die im Wormser Konkordat gefundene Lösung für die Zeitgenossen
wirklich eine lehnrechtliche Bindung der Bischöfe an den König bedeutete.
Folgen wir den Ausführungen Peter Classens in seinem magistralen Aufsatz
von 1973 »Das Wormser Konkordat in der deutschen Verfassungsgeschichte«,
dann könnten wir diese Frage uneingeschränkt mit »Ja« beantworten. Erst
Classens Wortmeldung führte dazu, dass das mitteis'sehe Theorem bis in die
Gegenwart als Forschungsstand gelten darf; seine Position ist deshalb knapp zu
skizzieren. Peter Classen geht von den Ereignissen des kurzen englischen
Investiturstreits aus, der durch die Verweigerung des hominium, des Handgangs,
durch Anselm von Canterbury gegenüber seinem König ausgelöst wurde. Im
Normannenreich sei das hominium, gedeutet als Indikator der lehnrechtlichen
Unterordnung der Bischöfe gegenüber dem König, ein wesentlicher Punkt der
Auseinandersetzung gewesen18. Ein Verbot für Kleriker, Laien das hominium zu
leisten, hatte schon eine Synode Papst Urbans II. dekretiert; Paschalis II. bestätigte
das Verbot in einem Brief an Anselm von Canterbury19. Nach Classen sei die
Lehnshuldigung der Bischöfe in der Endphase des Investiturstreits auch im Reich
erörtert worden. Dafür spreche zum einen, dass 1107 und 1109 Quellen über
Verhandlungen zwischen königlichen Gesandtschaften und dem Papst be-
ziehungsweise seinen Legationen das hominium als Punkt der Ausein-
andersetzung erwähnen20. Auch wenn zu den Ereignissen von 1111 und 1119 die
lehnrechtliche Bindung nicht explizit erwähnt werde, so gebe es doch immer
wieder Hinweise darauf, dass dieses Thema diskutiert worden sei21. Im Wormser
Konkordat schließlich habe man mit einer verschleiernden Formulierung dem
König das hominium und den Treueid der Bischöfe nach der königlichen
Investitur mit den Regalien zugestanden22. Die Investitur mit den Regalien durch
das Szepter, Handgang und Eid der Bischöfe bedeuten dann - ganz analog zu
den Lehen der weltlichen Fürsten - die Einbindung der Bischöfe in eine feudal
verstandene Reichsverfassung. Dafür spreche auch, dass das Bezugsverhältnis
der Bischöfe zum König nur wenig später schon auf diese Weise gesehen
18 CLASSEN, Wormser Konkordat (wie Anm. 3), S. 417 f.
19 Ebd. S. 419.
20 Ebd. S. 420 f.
21 Ebd. S. 421 f.
22 Ebd. S. 422.
Jürgen Dendorfer
staatlichen Entwicklung erkennen will, dann bedingt diese Perspektive der
Meisterzählung gleichsam zwangsläufig das Hervorheben sinnstiftender Kon-
tinuitätselemente in den Formen oder »Instituten« des Lehnswesens, die sich nur
graduell verändert hätten, und diese Sichtweise führt ebenso dazu, dass
widerständige und alternative Deutungsmöglichkeiten ausgeblendet werden. Vor
diesem forschungsgeschichtlichen Hintergrund stellt sich noch dringlicher die
Frage, ob die im Wormser Konkordat gefundene Lösung für die Zeitgenossen
wirklich eine lehnrechtliche Bindung der Bischöfe an den König bedeutete.
Folgen wir den Ausführungen Peter Classens in seinem magistralen Aufsatz
von 1973 »Das Wormser Konkordat in der deutschen Verfassungsgeschichte«,
dann könnten wir diese Frage uneingeschränkt mit »Ja« beantworten. Erst
Classens Wortmeldung führte dazu, dass das mitteis'sehe Theorem bis in die
Gegenwart als Forschungsstand gelten darf; seine Position ist deshalb knapp zu
skizzieren. Peter Classen geht von den Ereignissen des kurzen englischen
Investiturstreits aus, der durch die Verweigerung des hominium, des Handgangs,
durch Anselm von Canterbury gegenüber seinem König ausgelöst wurde. Im
Normannenreich sei das hominium, gedeutet als Indikator der lehnrechtlichen
Unterordnung der Bischöfe gegenüber dem König, ein wesentlicher Punkt der
Auseinandersetzung gewesen18. Ein Verbot für Kleriker, Laien das hominium zu
leisten, hatte schon eine Synode Papst Urbans II. dekretiert; Paschalis II. bestätigte
das Verbot in einem Brief an Anselm von Canterbury19. Nach Classen sei die
Lehnshuldigung der Bischöfe in der Endphase des Investiturstreits auch im Reich
erörtert worden. Dafür spreche zum einen, dass 1107 und 1109 Quellen über
Verhandlungen zwischen königlichen Gesandtschaften und dem Papst be-
ziehungsweise seinen Legationen das hominium als Punkt der Ausein-
andersetzung erwähnen20. Auch wenn zu den Ereignissen von 1111 und 1119 die
lehnrechtliche Bindung nicht explizit erwähnt werde, so gebe es doch immer
wieder Hinweise darauf, dass dieses Thema diskutiert worden sei21. Im Wormser
Konkordat schließlich habe man mit einer verschleiernden Formulierung dem
König das hominium und den Treueid der Bischöfe nach der königlichen
Investitur mit den Regalien zugestanden22. Die Investitur mit den Regalien durch
das Szepter, Handgang und Eid der Bischöfe bedeuten dann - ganz analog zu
den Lehen der weltlichen Fürsten - die Einbindung der Bischöfe in eine feudal
verstandene Reichsverfassung. Dafür spreche auch, dass das Bezugsverhältnis
der Bischöfe zum König nur wenig später schon auf diese Weise gesehen
18 CLASSEN, Wormser Konkordat (wie Anm. 3), S. 417 f.
19 Ebd. S. 419.
20 Ebd. S. 420 f.
21 Ebd. S. 421 f.
22 Ebd. S. 422.