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Weinfurter, Stefan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Päpstliche Herrschaft im Mittelalter: Funktionsweisen - Strategien - Darstellungsformen — Mittelalter-Forschungen, Band 38: Ostfildern, 2012

DOI Artikel:
Laudage, Johannes: Die papstgeschichtliche Wende
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https://doi.org/10.11588/diglit.34754#0053
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Johannes Laudage

Damit könnte ich es bewenden lassen, wenn sich nicht noch eine Reihe von
ungeklärten Fragen aufdrängten. Sie lauten: 1. Wie kam es eigentlich zu dieser
Wende? 2. Wie lief sie überhaupt ab? Und 3. welche Folgeerscheinungen ergaben
sich daraus?
Jede dieser drei Fragen hängt mit den beiden anderen auf das engste zusam-
men; aber um Ursache und Wirkung zu bestimmen, ist es notwendig, sie streng
der Reihe nach zu behandeln, denn zur Debatte steht immerhin das Problem, wie
sich die frühmittelalterliche „église au pouvoir des laïques"5 in die hochmittel-
alterliche Amtskirche mit ihrer Romorientierung und ihren streng hierarchischen
Organisationsformen verwandelte. Als strahlender Endpunkt dieser Entwicklung
gilt bekanntlich das IV. Laterankonzil von 1215. Wir haben es also mit einem lang-
gestreckten Prozess zu tun, und es erscheint äußerst fraglich, ob dieser hochkom-
plexe Vorgang wirklich nur durch die persönlichen Erfahrungen eines seit 22 Jah-
ren im Bistum Toul amtierenden Bischofs6 ausgelöst wurde.
Die frühe Salierzeit war eine Epoche des schleichenden Wertewandels. Hatte
man bis dahin stets auf das Prinzip des geistlich-weltlichen Synergismus gesetzt
und im Eigenkirchenwesen, der Verfügungsgewalt der Laien über Kirchen und
kirchliche Ämter, gar nichts Verbotenes gesehen, so begann man auf einmal
damit, sich auf die Normen des Kirchenrechts zurückzubesinnen und die Eigen-
ständigkeit der geistlichen Rechtssphäre einzuklagen. Die Gründe dafür waren
vielschichtig, aber es hatte vor allem damit zu tun, dass sich ein neues Gesell-
schaftsmodell etablierte. Darin unterteilte man die Menschen in drei Gruppen: in
solche, die arbeiten und für die übrigen Lebensmittel und andere Produkte bereit-
stellen (laboratores oder agricultores), in solche, die beten und für das Seelenheil der
anderen sorgen (oratores), und solche, die kämpfen und für den Schutz der Waffen-
losen zuständig sind (bellatores oder pugnatores). Adalbero von Laon (t kurz nach
1030) hat diese Vorstellung in die berühmten Worte gebannt: „Dreifach ist also das
Haus Gottes, von dem man glaubt, es sei ein einziges. Denn die einen beten, die
anderen kämpfen und die dritten arbeiten"7.
Diese Grundidee hatte nachhaltige Konsequenzen. Denn zum einen ergab
sich daraus die Lehre von der Einheit des Rittertums, der Gemeinschaft der zu

5 Zu diesem Schlagwort vgl. grundlegend Émile Amann/Auguste Dumas, L'Église au pouvoir
des laïques, Paris 1942.
6 Vgl. dazu zuletzt Joachim Dahlhaus, Das bischöfliche Wirken Brunos von Toul, in: Léon IX et
son temps. Actes du colloque international organisé par l'Institut d'Histoire Médiévale de
l'Université Marc-Bloch, Strasbourg-Eguisheim, 20-22 juin 2002, hg. von Georges Bischoff/
Benoît-Michel Teck (Artem. Atelier de Recherches sur les Textes Médiévaux 8), Tournhout
2006, S. 33-60.
7 Adalbero von Laon, Poème au roi Robert. Introduction, édition et traduction par Claude
Carozzi (Les classiques de l'histoire de France au moyen âge 32), Paris 1979, S. 21, V. 275-280:
Triplex ergo Dei domus est quae creditur una. / Nunc orant, alii pugnant aliique laborant. / Quae tria
sunt simul et scissuram non patiuntur: / Vnius offitio sic stant operata duorum, / Alternis uicibu cunc-
tis solamina prebent. / Est igitur simplex talis conexio triplex. Vgl. dazu einführend Otto Ger-
hard Oexle, Die funktionale Dreiteilung der „Gesellschaft" bei Adalbero von Laon. Deu-
tungsschemata der sozialen Wirklichkeit im frühen Mittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien
12,1978, S. 1-54.
 
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