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Weinfurter, Stefan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Päpstliche Herrschaft im Mittelalter: Funktionsweisen - Strategien - Darstellungsformen — Mittelalter-Forschungen, Band 38: Ostfildern, 2012

DOI Artikel:
Vollrath, Hanna,: Lauter Gerüchte? Canossa aus kommunikationsgeschichtlicher Sicht
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https://doi.org/10.11588/diglit.34754#0155

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154

Hanna Vollrath

Stellungen zur Vorstellungswelt einzelner Autoren* * 4. Dabei wird das Entstehen von
Vorstellungen, die die Einzelwahrnehmungen formen und die den Darstellungen
zugrunde liegen und in sie eingehen, in aller Regel als rein geistiger Prozess ver-
standen5. Mir scheint es dagegen wichtig zu sein, darüber hinaus auch die sozialen
Bedingungen der Entstehung von Geschichtsdarstellungen zu berücksichtigen.
Zu den sozialen Bedingungen im weiteren Sinne gehört auch die Frage nach der
Verbreitung von Nachrichten und der Nachrichtenübermittlung. Ein solcher kom-
munikationsgeschichtlicher Ansatz soll hier am Beispiel des Canossaganges er-
probt werden.
Die lange Vorgeschichte von Canossa seit der „Frühreform" ist bekannt und
wenig umstritten6. Unter dem Namen „Frühreform" werden in der Forschung Be-
strebungen zur moralisch-religiösen Erneuerung zusammengefasst, die sich etwa
seit der Jahrhundertwende bemerkbar machten und die auf alle Bereiche des reli-
giösen Lebens zielten. Auch der deutsche König Heinrich III. hat sich diese Re-
formgedanken zu eigen gemacht und kräftig gegen Simonie und Nikolaitismus
gewettert, zwei Begriffe, die bald zum Inbegriff für die schändliche Besudelung
der Kirche durch „das Weltliche" wurden. Dabei ließen sich Heinrich III. und seine
Zeitgenossen von der Vorstellung leiten, dass sich die gewünschte Reinigung der
Kirche im Rahmen der bestehenden Ordnung vollziehen würde. Nach dem Tod
Heinrichs III. im Jahr 1056 entwickelten sich in Rom aber bald systemsprengende

von Corvey. Untersuchungen zur Geschichtsschreibung und Ideengeschichte des 10. Jahrhun-
derts, Weimar 1950.
4 Zur Konzeption einer „Vorstellungsgeschichte" siehe Hans-Werner Goetz, „Vorstellungsge-
schichte". Menschliche Vorstellungen und Meinungen als Dimension der Vergangenheit. Be-
merkungen zu einem jüngeren Arbeitsfeld der Geschichtswissenschaft als Beitrag zu einer Me-
thodik der Quellenauswertung (1982); Ders., Wahrnehmungs- und Deutungsmuster als
methodisches Problem der Geschichtswissenschaft (2003); ND beider Aufsätze in Ders., Vor-
stellungsgeschichte. Gesammelte Schriften zu Wahrnehmungen, Deutungen und Vorstellun-
gen im Mittelalter, hg. von Anna Aurast u. a., Bochum 2007, S. 3-17 und S. 19-29.
5 So sieht Goetz die „Wahrnehmung ... unmittelbar geprägt und determiniert von den - zu-
nächst jeweils individuellen - Vorkenntnissen und Vorannahmen, ... nämlich von dem gesam-
ten Reservoir an Wissen, Erfahrungen, Vorstellungen und Einstellungen des wahrnehmenden
Menschen, einem Komplex, den ich abgekürzt als,Vorstellungswelt' bezeichnen möchte", in:
Wahrnehmungs- und Deutungsmuster (wie Anm. 4), S. 26f. Dem stimme ich zu, allerdings
scheint mir die Beschränkung auf den individuellen Wahrnehmungshorizont eines Autors und
auf dessen individuelle geistige Grundlagen unzureichend und ergänzungsbedürftig zu sein
nicht nur durch Berücksichtigung kollektiver Einstellungen, sondern auch durch die vorherr-
schenden Umweltbedingungen natürlicher, aber auch technisch-praktischer Gegebenheiten.
6 Autoritative Zusammenfassung der jüngeren Forschung von Stefan Weinfurter, Canossa.
Die Entzauberung der Welt, München 32007; dort Hinweis auf die umfangreiche deutsche wis-
senschaftliche Literatur; kommentierter Überblick über die Quellen und Literatur auch bei
Wilfried Hartmann, Der Investiturstreit (EDG 21), München 32007 und jetzt vor allem
Hartmut Hoffmann, Canossa - eine Wende?, in: Deutsches Archiv 66, 2010, S. 535-568, mit
kritischer Diskussion zentraler Thesen zum Canossageschehen. Dazu auch die sehr quellen-
nahen Darstellungen von Ian Stuart Robinson, Henry IV of Germany. 1056-1106, Cambridge
1999, und Ian Stuart Robinson, The Papacy 1073-1198. Continuity and Innovation, Cam-
bridge 1990. Vgl. außerdem die einschlägigen Beiträge in Bd. 2 der Begleitbände zur Osnabrük-
ker Ausstellung: Canossa 1077. Erschütterung der Welt. Geschichte, Kunst und Kultur am Auf-
gang der Romanik, 2 Bde., hg. von Christoph Stiegemann u. a., München 2006.
 
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