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Weinfurter, Stefan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Päpstliche Herrschaft im Mittelalter: Funktionsweisen - Strategien - Darstellungsformen — Mittelalter-Forschungen, Band 38: Ostfildern, 2012

DOI Artikel:
Groten, Manfred,: Die gesichtslose Macht. Die Papstbullen des 11. Jahrhunderts als Amtszeichen
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https://doi.org/10.11588/diglit.34754#0201

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Manfred Groten

bekanntesten Vertreter dieses Typs sind die frühmittelalterlichen Papstbullen3.
Ein schönes Beispiel liefert die Bulle Papst Hadrians I. (772-795)4. Auf ihrer Vorder-
seite steht unter einem kleinen Kreuz der Name Hadriani, auf der Rückseite in glei-
cher Weise die Amtsbezeichnung Papae. Der Genitiv verweist auf die Zeichen-
funktion des sigillum. Zu „des Papstes Hadrian" hat man im Geiste „Zeichen" zu
ergänzen. Mit dieser Gestaltung erweisen sich die frühen Papstbullen als Amtszei-
chen von beeindruckend schlichter Strenge.
Diese kargen Zeichen erscheinen in der Welt des lateinischen Frühmittelalters
eingebettet in eine ganz andersartige Siegelpraxis, in der Bilder unverzichtbar wa-
ren. Die Bulle hatte nämlich ihren Siegeszug erst zu einer Zeit angetreten, als die
germanischen Reiche auf dem Gebiet des römischen Westreiches schon nicht mehr
an der kulturellen Entwicklung des Imperiums teilnahmen, denn im lateinischen
Westen lassen sich Bullen nur in ganz geringer Zahl nachweisen. Daraus resul-
tierte eine nie mehr überwundene Spaltung Europas in eine westliche (lateinische)
Wachssiegel- und eine östliche (vorwiegend griechische) Metallsiegelzone.
Die Könige der neuen Reiche auf dem Boden des Imperiums führten die rö-
mische Praxis der Siegelung von Aufzeichnungen über Rechtsgeschäfte, sprich Ur-
kunden, mit Siegelringen fort5. Gut bezeugt ist das Siegelwesen der merowin-
gischen Frankenkönige6. Die frühmittelalterlichen Könige veränderten allerdings
das aus der römischen Kultur übernommene Medium in einer Weise, die man viel-
leicht mit dem Begriff Barbarisierung7 bezeichnen kann. In völliger Abkehr von
den römischen Vorbildern ließen sie auf ihren Siegelringen ihr Abbild, ihre imago,
in Frontalansicht anbringen, zunächst in Form eines Brustbildes mit einer Um-
schrift, die Name und Titel nennt. Der König schaut den Betrachter an und schlägt
ihn so in seinen Bann. Der Adressat des Bildes steht im Angesicht des Königs. Das
Bild vergegenwärtigt den König. Es ist aufgeladen mit seiner Autorität, mit der
herrscherlichen Potenz des Abgebildeten. Es ist ein „mächtiges Bild". Die beabsich-
tigte Wirkung eines solchen Abbildes erschließt sich erst vollends, wenn man seine
Bedeutung als Projektion, Emanation des Urbildes im magischen Denken des
Frühmittelalters berücksichtigt. Urbild und Abbild sind bis an die Grenze der
Identität miteinander verbunden. Die Siegelumschrift, die nicht mehr im Genitiv,
sondern im Nominativ steht, verdichtet die Aussage des Siegelbildes8. Neben den

3 Julius von Pflugk-Harttung, Die Bullen der Päpste bis zum Ende des zwölften Jahrhun-
derts, Gotha 1901.
4 Pflugk-Harttung, Bullen (wie Anm. 3), S. 46; Abbildung bei Wilhelm Ewald, Siegelkunde
(Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte IV, 4,1), München/Berlin 1914, Ta-
fel 35,5-6; Kittel, Siegel (wie Anm. 1), S. 384, Abb. 233c.
5 Percy Ernst Schramm, Brustbilder von Königen auf Siegelringen der Völkerwanderungs-
zeit, in: Herrschaftszeichen und Staatssymbolik. Beiträge zu ihrer Geschichte vom dritten bis
zum sechzehnten Jahrhundert (Schriften der MGH 13/1), Stuttgart 1954, S. 213-237.
6 Andrea Stieldorf, Gestalt und Funktion der Siegel auf den merowingischen Königsurkun-
den, in: Archiv für Diplomatik 47/48,2001/2, S. 133-166.
7 Zum Begriff vgl. Georg Scheibelreiter, Die barbarische Gesellschaft. Mentalitätsgeschichte
der europäischen Achsenzeit 5.-8. Jahrhundert, Darmstadt 1999.
8 Zusammenfassend zur mittelalterlichen Siegelentwicklung Manfred Groten, Vom Bild zum
Zeichen. Die Entstehung korporativer Siegel im Kontext der gesellschaftlichen und intellektu-
 
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