Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Weinfurter, Stefan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Päpstliche Herrschaft im Mittelalter: Funktionsweisen - Strategien - Darstellungsformen — Mittelalter-Forschungen, Band 38: Ostfildern, 2012

DOI Artikel:
Groten, Manfred,: Die gesichtslose Macht. Die Papstbullen des 11. Jahrhunderts als Amtszeichen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34754#0221

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
220

Manfred Groten

der der römischen Kirche hat Vorbilder in den Roten der Päpste seit Viktor II.92.
Auch die Nennung des Papstnamens auf der Reversseite der Bulle hat Urban ver-
ändert, indem er sie erstens - wieder älteren Vorbildern folgend - in Zeilen anord-
nen ließ, nicht kreisförmig, und zweitens, indem er die Aufschrift vom Genitiv in
den Nominativ umsetzte. Damit wurde die Legende der Papstbulle an die Um-
schriften der Siegel der europäischen Herrscher angeglichen, die auch nach dem
Siegeszug des neuen Siegelverständnisses, das die Legende Sigillum plus Name des
Siegelführers im Genitiv obligatorisch machte, an der ehrwürdigen alten Form
festhielten93.
Urbans Bulle, die Pflugk-Harttung meines Erachtens völlig zu Unrecht als
„Notsiegel" eines rastlos umherreisenden Papstes abqualifiziert hat94, wirkt vor al-
lem im Vergleich zu dem prunkvollen Siegel seines Gegenspielers Clemens III.
(1080-1100)95 nüchtern, pragmatisch, aber in ihrer Traditionsverankerung auch
souverän. Der kaiserliche Gegenpapst hatte in sehr aufwändiger, leicht manieriert
anmutender Weise auf das Vorbild Viktors II. zurückgegriffen. Die Vorderseite sei-
ner Bulle zeigt Petrus und den von oben zu ihm mit einem riesigen Schlüssel her-
abschwebenden Christus in ganzer Figur mit der metrischen Umschrift Corrige,
parce, feri, Petre, pande, memento mederi, auf der Rückseite erscheint die Aurea Roma.
An diesem Punkt soll die Untersuchung beendet werden. Ich hoffe gezeigt zu
haben, welche Erkenntnismöglichkeiten die Analyse der Papstbullen des 11. Jahr-
hunderts bieten. Unmittelbar nach der Wahl entworfen96 haben sie wie kaum eine
andere Quellengattung programmatischen Charakter. In der Wiederholung be-
stimmter Formen bzw. deren Ersetzung durch neue Entwürfe werden Kontinuitä-
ten und Diskontinuitäten sichtbar. Die Bullen zeigen, was werden sollte. Ob die
Entwürfe verwirklicht werden konnten, bleibt dann jeweils zu überprüfen.

92 Pflugk-Harttung, Bullen (wie Anm. 3), S. 172.
93 Vgl. Anm. 8.
94 Pflugk-Harttung, Bullen (wie Anm. 3), S. 56f. Immerhin wurden fünf bis sechs Stempel in
gleicher Gestaltung hergestellt (S. 233f.). Zu Urban II. vgl. Alfons Becker, Papst Urban II.
(1088-1099) (Schriften der MGH 19), 2 Bde., Stuttgart 1964,1988.
95 Pflugk-Harttung, Specimina (wie Anm. 20), Tafel VIII, 5; Herklotz, Ikonographie (wie
Anm. 23), Tafel XX, Abb. 43; Pflugk-Harttung, Bullen (wie Anm. 3), S. 52,213.
96 Zu dem für die Herstellung der Bullenstempel erforderlichen Zeitraum vgl. Pflugk-Hart-
tung, Bullen (wie Anm. 3), S. 55f.
 
Annotationen