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Weinfurter, Stefan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Päpstliche Herrschaft im Mittelalter: Funktionsweisen - Strategien - Darstellungsformen — Mittelalter-Forschungen, Band 38: Ostfildern, 2012

DOI Artikel:
Heckmann, Marie-Luise: Der Fall Formosus. Ungerechtfertigte Anklage gegen einen Toten, Leichenfrevel oder inszenierte Entheiligung des Sakralen?
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https://doi.org/10.11588/diglit.34754#0226

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Der Fall Formosus

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len. Erneut wurde bestimmt, dass kein abgesetzter Kleriker ohne vorherige kano-
nische Restitution höhere Weihen empfangen dürfe. Diese Weisung hatte ihren
Hintergrund in einem weiteren Papstprozess, der inzwischen stattgefunden hatte.
Stephan VI., der selbst nur wenige Monate als Papst amtiert hatte, ließ nämlich
896/897 ein grausiges Strafgericht inszenieren, das als so genannte „Leichensyn-
ode" in die Papstgeschichte eingegangen ist4.

II. Der Fall
Damit ist der eigentliche Fall Formosus aufgerollt. Das von Stephan VI. einberu-
fene Bischofskonzil tagte in einer der römischen Hauptkirchen, vermutlich in der
Aula des Laterans. Teilnehmer waren mehrere Bischöfe aus der Umgebung von
Rom sowie zahlreiche stadtrömische Presbyter und Diakone. Sie alle sollen nach
späteren Berichten vorher mit Formosus in kirchlicher Gemeinschaft gelebt haben.
Die Stimmung richtete sich dennoch gegen den seit einigen Monaten verstorbenen
Papst. Stephan VI. hatte als Insinuator des Prozesses sogar die halb verweste Lei-
che seines Vorgängers aus ihrem Sarg holen und vor die Synode bringen lassen.
Nun wurde sie mit dem päpstlichen Ornat bekleidet und auf den Papstthron der
Kirche gesetzt, so als wäre Formosus noch am Leben. Die eigentliche Anklage er-
hoben wahrscheinlich die suburbikarischen Bischöfe Petrus von Albano und Sil-
vester von Porto sowie ein gewisser Paschalis. Sie lautete auf Eidbruch, unerlaubte
Ausübung priesterlicher Funktionen und Übertreten des Translationsverbots für
Bischöfe, also auf Amtsanmaßung5. Die Verteidigung des Angeklagten wurde ei-
nem nicht weiter bekannten Diakon übertragen. Sein Plädoyer führte erwartungs-
gemäß zu keinem Erfolg.
Man sah in der Erhebung des Formosus zum Papst einen geistlichen Ehe-
bruch und beschuldigte zudem den Toten, aus bloßem Ehrgeiz nach höheren Wür-
den gestrebt zu haben. Stephan VI. trug diese Beschuldigungen sogar persönlich
vor. Die Stimmung unter den Synodalen wurde damit noch weiter angeheizt. Ihr
Urteil war eindeutig und hieß: posthume Absetzung des Papstes und Annullie-
rung seines gesamten Pontifikats. Alle kirchlichen Verfügungen, die Formosus als
Papst getroffen hatte, wurden aufgehoben und für ungültig erklärt. Die von For-
mosus geweihten Kleriker verloren ihre Ämter und Würden, worüber sie Ver-
zichtserklärungen ausstellen mussten. Die anwesenden Bischöfe unterschrieben
dann noch das von einem Subdiakon ausgefertigte Protokoll, ehe das ausgespro-
chene Urteil vollstreckt wurde: Die Leiche wurde zunächst vom päpstlichen Thron
gezerrt. Man riss ihr sodann die Kleider bis auf ein Hemd vom verwesenden Leib

4 Zur Vorgeschichte: Harald Zimmermann, Papstabsetzungen im Mittelalter, Graz u.a. 1968,
S. 49-55; Scholz, Bistumswechsel (wie Anm. 3), S. 209-226; Friedrich Wilhelm Bautz, Art.
„Formosus", in: Evangelisches Kirchenlexikon, Bd. 2, Hamm 1990, Sp. 70f.
5 Dorothee Arnold, Johannes VIII. Päpstliche Herrschaft in den karolingischen Teilreichen am
Ende des 9. Jahrhunderts (Europäische Hochschulschriften, Reihe 23, Bd. 797), Frankfurt am
Main 2005.
 
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