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Weinfurter, Stefan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Päpstliche Herrschaft im Mittelalter: Funktionsweisen - Strategien - Darstellungsformen — Mittelalter-Forschungen, Band 38: Ostfildern, 2012

DOI Artikel:
Heckmann, Marie-Luise: Der Fall Formosus. Ungerechtfertigte Anklage gegen einen Toten, Leichenfrevel oder inszenierte Entheiligung des Sakralen?
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https://doi.org/10.11588/diglit.34754#0229

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Marie-Luise Heckmann

ren benutzten eine wohl zwischen 904 und 911 kompilierte kirchenrechtliche
Sammlung, die zum einen eine 869 von Anastasius Bibliothecarius zusammenge-
stellte Gruppe von Canones zur Verteidigung päpstlicher Primatsansprüche im
photianischen Schisma, zum anderen eine etwa 871 entstandene Abhandlung zum
Bistumswechsel von Bischöfen enthielt16.
Auf diesem Quellenensemble beruhen auch alle jüngeren Schilderungen des
Falles Formosus: Dazu gehören beispielsweise die Streitschriften der Gregorianer
Bernhard von Konstanz und Deusdedit, aber auch die kurze Abhandlung De sepul-
tura eorum, qui falso excommunicato ducuntur, non turbanda eines kaiserlichen Anony-
mus. Dieser suchte die Toten allein dem Gericht Gottes zu unterwerfen, weil er
davon ausging, dass sich die Binde- und Lösegewalt, die an die Apostel verliehen
worden ist, nur auf die Beurteilung Lebender beziehe. Erinnert sei schließlich noch
an eine spätmittelalterliche Stimme: Wilhelm von Ockham betrachtet die Leichen-
synode als Beleg für die These, dass kein Papst allein aufgrund der Übernahme
seines Amtes als heilig gelten dürfe17.

V. Zur bisherigen Forschung
In der neueren Forschung lassen sich fünf Grundlinien der Interpretation erken-
nen, die teilweise miteinander Zusammenhängen. Ernst Dümmler hat erstmals die
mit dem Fall Formosus verbundene Weiheproblematik beleuchtet. Harald Zim-
mermann sieht in dem Vorgang ein Gerichtsverfahren, das gegen Formosus ange-
strengt wurde. Sebastian Scholz befasst sich mit dem Wandel der Kirchenverfas-
sung, der anhand des Bistumswechsels von Bischöfen deutlich wird. Er nimmt
außerdem - ähnlich wie schon die ältere Forschung - Legitimierungsaspekte des
mittelalterlichen Papsttums in den Blick. Johannes Laudage erkennt schließlich in
der Abhandlung des Auxilius eine wichtige Brücke zwischen altkirchlichen Vor-

(wie Anm. 12), S. 42; Joseph Hergenröther, Photius, Patriarch von Konstantinopel. Sein Le-
ben, seine Schriften und das griechische Schisma, 3 Bde., Regensburg 1867-1869 (ND Darm-
stadt 1966), bes. Bd. 2, S. 370, 373, Anm. 9; Max Manitius, Geschichte der lateinischen Litera-
tur des Mittelalters. Erster Teil (Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft 9/2/1),
München 1911, S. 439f.; zur Datierung in die frühen Jahre Johannes' X. (914-928): Horst Fuhr-
mann, Pseudoisidor in Rom vom Ende der Karolingerzeit bis zum Reformpapsttum, in: Zeit-
schrift für Kirchengeschichte 78,1967, S. 15-66, bes. S. 33, Anm. 41. Annette Grabowsky be-
reitet an der Universität Tübingen eine Dissertation zum Thema "Der Streit um Formosus.
Edition der Streitschriften des Auxilius und des Vulgarius sowie der anonymen Invectiva in
Romam" vor.
16 Jean Pierre Pozzi, Le manuscrit tomus XVIIIus de la Vallicelliana et le libelle De episcoporum
transmigratione et quod non temere indicentur regide quadraginta quattuor, in: Apollinaris 31,1958,
S. 313-351; vgl. S. Lindemans, Auxilius et le manuscript Vallicellan Tome XVIII, in: Revue
d'histoire ecclésiastique 57,1962, S. 470-484; Fuhrmann, Pseudoisidor (wie Anm. 15), S. 32f.
17 Zur Leichensynode und ihrer Rezeption: Guiseppe Domenici, Il papa Formoso, in: La civiltà
cattolica 75/1, 1924, S. 106-120, 518-530; 75/2, 1924, S. 121-135; Démètre Pop, La défense du
pape Formose, Paris 1933; Mario Bacchiega, Papa Formoso (processo al cadavere), o.O. [Fog-
gia] 1983 (ND Foggia 1998) (unkritisch); Ludovico Gatto, La condanna di un cadaver. Rifles-
sioni sull' incredibile storia di papa Formoso, in: Studi Romani 52, 2004, S. 379-406.
 
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