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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0216
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11 Formen kriegerischer Gewalt

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rung zugesichert, man werde ihnen kein Leid antun und ihnen werde es nicht
wie Soissons ergehen, denn, so die Engländer, „wir sind gute Christen.'^
Die Gründe, warum Soissons und nicht Azincourt für die Zeitgenossen
zur Chiffre für Kriegsgräuel wurde, sind sowohl auf politischer als auch nar-
rativer Ebene zu suchen. Gegen die Engländer führte man einen regulären
Krieg, dessen Abläufe im Großen und Ganzen als berechenbar galten. Dass
man auf französischer Seite die militärischen Zwänge Heinrichs V. in Azin-
court akzeptierte, lag an der Einbettung der Schlacht in einen legitimen Krieg.
Der Bürgerkrieg, in dessen Rahmen Soissons eingenommen wurde, galt da-
gegen auch deswegen als grundsätzlich verheerender, weil die Regeln eines
,normalen' Krieges nicht ohne weiteres auf eine gMenr duEe übertragbar wa-
ren.^ Der Bürgerkrieg war Ausdruck der inneren Spaltung, die auch vor den
Chronisten nicht Halt machte, so dass der Empörungsfaktor angesichts der
gewaltsamen Einnahme einer Stadt durch den verhassten politischen Feind
deutlich größer war, als der einer gegen einen legitimen Kriegsgegner verlo-
renen Schlacht.
Die Berichte der Chronisten über die Einnahme von Soissons lassen sich rela-
tiv eindeutig in eine proköniglich-armagnakische und eine burgundische
Partei teilen. In den Darstellungen der proburgundischen Chronisten wird die
Einnahme der Stadt zu einem herausragenden Gewaltexzess stilisiert. Die
Verteidiger der Stadt werden ausdrücklich gelobt und dadurch von jeder
Schuld freigesprochenA" Besonders Enguerrand de Monstrelet schilderte in
einer langen Passage, wie die Armagnacs in der Stadt gewütet hätten: Sie
haben nicht nur die Bewohner ausgeraubt, sondern auch Kirchen und Klöster,
Reliquiare um der Edelsteine willen zerbrochen, Frauen vor ihren Ehemän-
nern, Jungfrauen vor ihren Eltern, Nonnen, adlige Frauen und überhaupt
Frauen jeden Standes vergewaltigt und sie dann an ihre Dienstleute weiter-
gegeben. Vor Verzweiflung seien die Bewohner von der Stadtmauer gesprun-
gen und haben versucht, sich in den Stadtgraben zu retten, wo viele ertrun-
ken und später an verschiedenen Stellen des Ufers gefunden worden seien.
Der burgundische Heerführer Enguerrand de Bournonville sei später hinge-
richtet worden - nicht als Verräter am König, sondern aus persönlicher Rache
des Herzogs von Bourbon, da dieser Enguerrand vorgeworfen habe, seinen
Halbbruder getötet zu haben. Tatsächlich, so Monstrelet, könne sich niemand
erinnern, dass Christen je so großes Unheil angerichtet hätten: jeder, der an-
gesichts des schrecklichen und bedauernswerten Elends der Stadt kein Mit-

448 N'ai/oz poMr, ne uoMS doMfoz, OM ne uoMS Jörg md, Mosüo sdgMOMr L roi/ d AMgZotorro ne WMf pas gastor
soM pai/s; OM Mo uoMS pas oommo OM/P a SoissoMS, MOMS sommos EoMS d?roshoMS. Ebd., S. 509.
449 Vgl. z. B. Juvenal des Ursins, Ecrits, Bd. 1, S. 395 (kotpMr fn'MgdoMo): Par (?MOi/ WM&OMi td
soMrdroMf gMorros duhoz td pgrücMhoros, soroMf p/MS &MgoroMsos td ponPoMsos Za gMorro
Huoz ooMfro uoz OMMOMMS. Für eine ausführliche Diskussion siehe Kap. IV.1.2, S. 204-208.
450 Monstrelet, Chronique, Bd. 3, S. 5-7; Basin, Charles VII, Bd. 1, S. 26.
 
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