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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0253
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252

IVI Problematisierungen

vertreten.'^* Selbst Kinder, die weiterhin pro-burgundische Lieder sangen,
seien vor Prügel nicht sicher gewesen.'^
Verglichen mit Aufständen, die durch eine ritualisierte Art der Selbstorga-
nisation geprägt waren, erscheint die durch den Bürgerkrieg geprägte kollek-
tive Gewalt intensiver und ekstatischer. Dabei fällt es nicht leicht, zwischen
glaubwürdigen Schilderungen und tendenziösen Berichten der Chronisten zu
unterscheiden, die sich selbst kaum einer Parteinahme entziehen konnten
(oder wollten). Wie zuvor bei den Aufständen soll im Folgenden in zwei
Schritten versucht werden, dem doppelten Charakter der historiographischen
Schilderungen von Gewalt auf den Grund zu gehen: Einerseits sollen gewalt-
same Handlungen aus ihrem zeithistorischen Kontext heraus erklärt werden,
andererseits soll die Art der Gewaltbeschreibung als narratives Mittel der
Chronisten in den Blick genommen werden. Als Beispiel dienen die Massa-
ker, denen im Sommer 1418 mehrere Hundert Armagnacs in Paris zum Opfer
fielen.^

Das Massaker als entgrenzter Strafritus
Mit dem Einbruch des Winters endeten im Jahr 1417 die Kriegszüge, mit de-
nen der burgundische Herzog Johann Ohnefurcht versucht hatte, Paris einzu-
nehmen. Zusammen mit der Königin, Isabeau de Baviere, richtete sich Johann
in Troyes ein, um dort eine Gegenregierung aufzubauen, die freilich in Paris
keine Akzeptanz fand. Im Frühjahr 1418 versuchte der CotmehzHe Bernard VII.
von Armagnac die burgundische Einkesselung von Paris zu durchbrechen.
Dort scheiterten derweil die Friedensverhandlungen zwischen den Bürger-
kriegsparteien an der Weigerung des CoimcfaMe und des Kanzlers, einen
Frieden zu unterstützen.^
Nach mehreren erfolglosen Versuchen der Bourguignons, Paris einzu-
nehmen, öffneten einige Bürger in der Nacht vom 28. auf den 29. Mai 1418
einer Truppe unter dem Herren von LTsle-Adam, Jean de Villiers, die Tore.
Die Armagnacs wurden völlig überrumpelt und die Mehrheit von ihnen in
verschiedenen Pariser Gefängnissen inhaftiert; einige wenige entkamen -
darunter der Dauphin, dem der PüüOi Tanguy de Chätel in letzter Minute zur
Flucht verhalfV? Jean Juvenal berichtet, dass von einem Teil der Gefangen
Lösegeld erpresst und andere der Justiz übergeben werden sollten; eine dritte
Gruppe aber habe tatsächlich um ihr Leben gefürchtet.^ Eine solche Eintei-

173 Thevenin Guyard etwa floh 1418 bei der Einnahme der Stadt durch die Bourguignons aus
Paris, weil seine Vorgesetzten Armagnacs waren und er nun Repressionen fürchtete, Lehm de
remissioM für Thevenin Guyard, Januar 1426, ediert in Paris pendant, S. 202f.
Journal d un Bourgeois, S. 70f. (§85) (ad a. 1413).
175 Zum Ablauf siehe: Schnerb, Armagnacs, S. 249-255; d'Avout, Querelle, S. 263-273.
176 Schnerb, Armagnacs, S. 240-247; d'Avout, Querelle, S. 249-263.
177 Siehe dazu Famiglietti, Royal intrigue, S. 187f. Tote gab es wohl nur wenige: Journal de Fau-
quembergue, Bd. 1, S. 126-28, berichtet von zwei oder drei Toten, der Journal d un Bourgeois,
S. 110-112 (§193), dagegen von 522. Siehe dazu Schnerb, Armagnacs, S. 248f.
178 Juvenal des Ursins, Histoire, S. 540f.
 
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