Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0272
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
21 Formen kollektiver Gewalt

271

nicht rechtzeitig ins zivile Leben reintegrierten, nach und nach von den Trup-
pen Berrys aufgerieben A?
Die Situation in der Normandie der 1420er und 1430er Jahre weist einige
Ähnlichkeiten mit der Südfrankreichs auf. Heinrich V. sah sich nach der Er-
oberung der Normandie als ihr legitimer Herrscher und versuchte folglich,
die Sicherheit des Landes zu gewährleisten. Mit mehreren Ordonnanzen
wollte vor allem sein Stellvertreter, der Herzog von Bedford John of Lan-
caster, die militärische Disziplin der englischen Truppen verbessern.^ Die
effiziente Kontrolle der vielen Garnisonen vor Ort gelang jedoch kaum.^ Es
flohen immer mehr verarmte Bauern, Kriminelle und wohl auch Wider-
standskämpfer in die Wälder und organsierten sich zunehmend, um gegen
Plünderer und englische Garnisonen vorzugehen A'" Das Phänomen dieser
war keineswegs neu, wohl aber ihr Ausmaß: Thomas Basin spricht
von „zahllosen verzweifelten Männern", die sich aus Schlaffheit, aus Hass
gegen die Engländer, aus Gier nach Plünderungen oder aber wegen ihrer
eigenen Verbrechen „wie Wilde oder Wölfe" in die Wälder geflüchtet hätten,
statt mit den „Franzosen" zu leben und zu kämpfenA" Aus den Wäldern
würden sie nachts die Bevölkerung angreifen und Lösegeld erpressen, ohne
dass die Engländer ihrer Herr werden könnten.^
Aufschlussreich ist vor allem Basins Unterscheidung zwischen Fnm-
cos und Bnganrü: Jenseits der Engländer und der gegenüber Karl VII. loyalen
Franzosen sah er die Briganten als eine dritte, normannische Gruppe an. Die-
se konnte sich, ähnlich wie die TMc/nns, auf lokale Solidaritäten stützen und
stand in engem, sozialen Kontakt zu dörflichen Gemeinschaften.^' Die von
diesen Briganten ausgeübte Gewalt bestand primär in kleineren Angriffen
gegen Plünderer, in Diebstahl und Lösegeldpressungen, was ihnen eine Aura
der Legitimität verlieh; Vergewaltigungen, Mord und Brandstiftung kamen

29? Leguai, Revoltes rurales, S. 63. Vgl. den Bericht der Chronique du Religieux, Bd. 1, S. 310-312.
298 Der Text einer Ordonnanz von 1423 ist ediert bei Rowe, Discipline, S. 201-206; eine Ordonnanz
von 1428 findet sich bei Newhall, Bedford's Ordonance, S. 50-54. Siehe dazu Curry, Military
ordinances; Curry, Gens vivans, S. 209-214; Rowe, Discipline.
299 Curry, Gens vivans, S. 209-214.
2oo Siehe z. B. die Schilderung im Journal d un Bourgeois, S. 178 (§329), bzw. bei Juvenal des Ur-
sins, Histoire, S. 537. Siehe zu den Briganten der Normandie Toureille, Vol, S. 48-51; Roch, Gu-
erres, S. 53-56; Schnerb, Armagnacs, S. 289-294.
202 Tnrnf ah';' sine MMwer; desperat; af^Me P^rdif; domines, seM socordia seM Ang/omm od;'o uef hNdhre
ahewa rapfend; seM eoMse;'eMd;'a crimiMMW sf;'w;daf;', Mf fegMW euadereMf fa^Meos, reheffs agris cf dom;'-
?ws proprds, MOM tpddem TraMeorMW opida seM easfra iMcofereMf aMf in eorMW exercddws wdffareMf, sed
JerarMW more ae fMporMW dempsissima sduarMW cf waccessa foea fcMcFanf. Basin, Charles VII, Bd. 1,
S. 106.
302 Basin, Charles VII, Bd. 1, S. 108, sowie 112-114.
303 Einzelne Briganten wurden häufig in lokale Streitigkeiten verwickelt, z. B. Cohn du Quemin,
der sich wegen einer Liebesgeschichte den Briganten anschloss, um gegen einen Nebenbuhler
vorzugehen, Lcffrc de rewM'ssioM für Cohn du Quemin, April 1426, Paris, AN, JJ 173, fol. 244' (Nr.
513), ediert in den Actes de la chancellerie, Bd. 1, S. 314—320; Verweis bei Roch, Guerres, S. 55,
Fußnote 2. Siehe auch Gauvard, Grace espedal, S. 459; Toureille, Vol, S. 50f.
 
Annotationen