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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0277
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276

IVI Problematisierungen

Benennung als Tndüns beziehungsweise &ng%7ids & &o;s geht im Prinzip auf
die Lexik der Begnadigungsbriefe zurück und evozierte so eine Gruppenbin-
dung, die so gar nicht existierte. Die lokalen Gruppen erschienen so mehr und
mehr als eine massive und organisierte Bedrohung der Ordnung, gegen die
die Obrigkeit militärisch Vorgehen musste.^ Auch nachdem die sie 1384 im
Languedoc besiegt waren, blieb die Bezeichnung Tndüns im Vokabular der
Begnadigungsbriefe als Beleidigung präsent.^
Auch die Briganten der Normandie werden heute mehrheitlich als eine
Bewegung der Selbstverteidigung gesehen.^ Ohne dass patriotische Motive
bei ihnen nachweisbar wären, bestand ihr Erfolg dennoch darin, Zweifel an
der Effektivität der englischen Herrschaft gesät und sie durch ihre Angriffe
zu immer neuen Steuererhebungen gezwungen zu haben, mit denen weitere
Truppen bezahlt werden sollten. Deren militärische Präsenz wurde von der
Bevölkerung zunehmend abgelehnt und für die englische Krone letztlich
unbezahlbar.^" Im Zuge der französischen Erfolge bei der Wiedereroberung
der Normandie wurden nun auch hier die lokal organisierten Gruppen aus
Sicht der Obrigkeit zum Problem. Sie wurden als &ng%7ids de &o;s denunziert
und in die Illegalität getriebenA' Wie die Bezeichnung Tndün wurde auch
&ng%nd bald zu einer Beleidigung.^
Auf den ersten Blick erscheinen die hier vorgestellten Formen kollektiver
Gewalt recht disparat. Gut organisierte städtische Aufstände scheinen mit
den langlebigen Selbstverteidigungsbewegungen in weiten Gebieten der
Normandie oder Südfrankreichs nur wenig gemeinsam zu haben. Dennoch
sind diese Phänomene durch zwei markante Charakteristika verbunden:
(1) Zum einen wurden sie fast einhellig von den Chronisten verurteilt. Die
gesellschaftliche Elite fürchtete Aufstände als unberechenbar und wider die
göttliche Ordnung. Revolten wurden als grundsätzlich illegitimer Ungehor-
sam gegenüber der Obrigkeit angesehen und entsprechend narrativ verur-
teilt. Die Bescheibung von Gewalttaten spielte dabei eine entscheidende Rolle,
denn die Chronisten setzten sich nicht so sehr inhaltlich mit den Aufständi-
schen auseinander, sondern diffamierten sie vor allem durch die Zuschrei-
bung exzessiver Grausamkeiten. Gewaltstereotype und narrative Entmensch-
lichungen legitimierten die folgende Repression der Aufstände bereits bei
deren Schilderung. Dies trifft größtenteils auch auf die Widerstandsbewe-
gungen der Tndüns in Südfrankreich und der Bngands in der Normandie zu:
Obwohl viele Chronisten die individuellen Nöte der Bevölkerung registrier-

für Pierre Sarament, April 1367, Paris, AN, JJ 112 (Nr. 177), zitiert nach Boudet, Jacquerie,
S. 125f.; siehe auch Cohn, Populär protest, S. lOlf.
Siehe dazu Challet, L'exclusion, S. 380f.
33? Siehe dazu Challet, Mundare et aulerre, Bd. 1, S. 12-14.
338 Charbonnier, Qui furent les Tuchins?, S. 247. Siehe auch S. 268, Anm. 279.
339 Roch, Guerres, S. 54—56.
340 Allmand, Lancastrian Normandy, S. 237f.
344 Toureille, Vol, S. 50. Zur Befriedungspolitik der Valois nach der Eroberung siehe Gauvard,
Pardonner; Allmand, Lancastrian Normandy, S. 238-240.
342 Siehe S. 268, Anm. 279.
 
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