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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0343
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342

IVI Problematisierungen

angelegt gewesen zu sein.''" Es mag wiederum ein zaghafter Versuch der
Legitimierung sein, dass der hofnahe Chronist Gilles le Bouvier in seinem
ansonsten knappen Bericht meinte hinzufügen zu müssen, die Hinrichtung
sei sei par jusücc erfolgt.^
Obrigkeitliche Gewalt war an feste, ritualisierte Abläufe gebunden, um
von den Zeitgenossen gelesen und als legitim akzeptiert zu werden. Entspre-
chend wurden Hinrichtungen öffentlich inszeniert, um exemplarisch Grenz-
übertretungen zu bestrafen und die Fähigkeit des Herrschers zu zeigen, diese
Grenzen wirksam zu schützen. Mittelalterliche Strafpraktiken zielten nicht
auf das jeweilige Verbrechen und den einzelnen Delinquenten, sondern auf
die zukünftige Wirkung der öffentlichen Hinrichtung auf die Zuschauer. Die
Strafen selbst spiegelten häufig direkt oder auf einfache Art codiert das zu
bestrafende Verbrechen, wobei der Körper des Verurteilten zum Objekt der
Strafe wurde: Von kennzeichnenden Verstümmelungen (Dieben wurde die
Hand abgeschlagen) bis hin zur vollständigen körperlichen Vernichtung von
Verrätern bestand der Sinn des öffentlichen Strafens in der Sichtbarmachung
des Urteils am Körper des Bestraften. Dies erklärt, warum die Strafen mit
dem Tod des Verurteilten nicht zu Ende waren. Die Vierteilung und öffentli-
che Zurschaustellung von ,Verrätern' nach der eigentlichen Exekution waren
ein Teil der Strafe: Die Ehre des Verurteilten und seiner Familie wurde nach-
haltig geschädigt, die Öffentlichkeit durch seinen Körper am Galgen und
seine Gliedmaßen an den Stadttoren an sein Schicksal gemahnt.^
Die Öffentlichkeit der Exekution diente damit nicht der Berauschung eines
blutrünstigen Publikums, sondern einerseits dessen moralisch-sittlicher Er-
ziehung und andererseits der Legitimation des Urteils: Durch seine Anwe-
senheit drückte das Volk Akzeptanz aus - oder schritt tumultuarisch ein. Die
affirmative und mitunter korrigierende Funktion der Öffentlichkeit bedingte
wiederum feste, ritualisierte Abläufe der Strafen, die gleichzeitig ihre Legiti-
mität ausmachten und von der Obrigkeit beachtet werden musstenW Die
Wirkung und Akzeptanz der Strafriten zeigt sich gerade auch dadurch, dass

141 Monstrelet, Chronique, Bd. 5, S. 458, Textzitat auf S. 260, Anm. 365; siehe dazu auch S. 200
dieser Arbeit.
142 Pt /Mi pardoMMH /e Pot/ cf HMSs; HMX HMhcs dessMdiz, reserue /e Egsfarf de BoMrFoM, /e^eMef/Mf Moi/e per
jMSÜee. Les chroniques du Roi Charles VII, S. 231.
143 Den Anblick verwesender Leichen am Galgen beschreibt eindrücklich Francois Villon in seiner
Badade des pendus, Textzitat auf S. 382, Anm. 107. Vgl dazu Mills, Suspended animation, S. 28-
38, bes. 32.
144 Vgl. dazu Nassiet, Violence, S. 50; Reemtsma, Vertrauen, S. 118. Der Verweis auf die berühmte
Formel der „Legitimität durch Verfahren" von Niklas Luhmann liegt hier nahe, geht aber an
der Sache vorbei: Während es bei mittelalterlichen Hinrichtungen um einen relativ statischen
Handlungsablauf ging, betont Luhmann, Legitimation, S. 38, „ein Verfahren kann nicht als ei-
ne festgelegte Folge bestimmter Handlungen angesehen werden. Eine solche Auffassung wür-
de das Verfahren als Ritual begreifen, bei dem jeweils nur eine Handlung richtig ist." Gegen-
über Ritualen haben Verfahren nach Luhmann einen offenen Ausgang, ebd., S. 40. Vgl. dazu
die Beiträge in: Herstellung und Darstellung, besonders Stollberg-Rilinger, Einleitung [2010],
sowie die Beiträge in: Vormoderne politische Verfahren, besonders Stollberg-Rilinger, Einlei-
tung [2001] und Sikora, Sinn.
 
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