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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0344
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41 Formen obrigkeitlicher Gewalt

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sie im Rahmen von Revolten durch Aufständische imitiert wurden: In dem
Maß, in dem Aufständische herrschaftliche Autorität usurpierten, lehnten sie
sich im Umgang mit ihren Gegnern an die obrigkeitlichen Strafriten an.
Da der richtige Ablauf für Legitimität sorgte, wurden Abweichungen ent-
sprechend kritisch notiert: Änderte man den Strafritus auf ungewohnte Weise
(zum Beispiel durch den Verzicht auf das laute Verlesen der Strafe, oder gar
eine nicht-öffentliche Hinrichtung), wurde dies von den Zeitgenossen genau
registriert, unmittelbar diskutiert und mitunter kritisiert. Der König konnte
zwar kraft seiner Machtfülle die öffentliche Hinrichtung von Gegnern befeh-
len oder sie heimlich ertränken lassen; dies wurde jedoch allgemein heftig
kritisiert und als schlechte Justiz' gedeutet. Die Form war für die Akzeptanz
der Strafriten entscheidend, die Ausübung von Gewalt dagegen war nur das
Mittel der Umsetzung und wurde kaum je weiter diskutiert.
Umso mehr wurde jedoch um die angemessene Form obrigkeitlicher Ge-
walt gestritten: Die eigenmächtigen und spontanen Hinrichtungen, die Mitte
des 14. Jahrhunderts auf königlichen Befehl stattfanden, wurden als unge-
recht und dem Stand der Opfer unangemessen verurteilt, ebenso wie um 1400
die allzu liberale Begnadigungspraxis des Königs in die Kritik kam. Intellek-
tuelle wie Christine de Pisan und Jean Gerson regten an, jeder Verbrecher
solle eine ihm gebührende Strafe erhalten: Weniger Gnade, weniger exempla-
rische Härte. Die Durchsetzung dieses neuen Ideals königlicher Justiz lag
jedoch fern ihrer Möglichkeiten.
Auch die verbreitete Praxis der Begnadigung diente der Herrschaftsaus-
übung. Allein die Bitte um Begnadigung festigte einerseits den königlichen
Anspruch, Verbrechen begnadigen zu können, und zeigte andererseits, dass
die Kriminalisierung der entsprechenden Vergehen griff. Die Bestrafung als
soziale Praxis rückte zwar kurzfristig in den Hintergrund, nicht jedoch der
theoretische Anspruch strafen zu können. Entsprechend ist die hohe Zahl
begnadigter Verbrechen nicht nur Ausdruck einer durchsetzungsschwachen
Obrigkeit, sondern spiegelt deren Prioritätensetzung wider, die Entschei-
dungshoheit höher bewertete als ein absolutes Gewaltmonopol.^ Als Karl VI.
nach dem Pariser Aufstand sechs der zwölf Verurteilten hinrichten ließ und
die anderen sechs begnadigte, war dies eine effektvolle Ausübung seines
Rechts, über Leben und der Tod der Schuldigen zu befinden.'^ Auch die häu-
fige Abbildung von Todesstrafen in zeitgenössischen Miniaturen illustriert
diesen herrschaftlichen Anspruch.'^

i45 Siehe dazu Gauvard, Conclusion, S. 379f.
i45 Gauvard, Grace et execution, S. 277; Autrand, Charles VI, S. 105-110.
i47 Raynaud, Violence, S. 44f.
 
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